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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman
Autoren: Andrea Schacht
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hatte, was?«
    Traurig schüttelte ich den Kopf und seufzte: »Du hast Recht, ich mochte einfach nicht weggehen.«
    »Hast ein kleines Forschungsprojekt betreut, nehme ich an?«
    »Ja, irgendwie schon.«
    »Und dann hast du etwas darüber geschrieben. Soll ich raten?«
    »Du bist wunderbar im Raten, Rose.«
    »Eine Dissertation über Autorenbilder in mittelalterlichen Handschriften, Frau Dr. Anahita Kaiser.«
    »Jetzt ist es raus. Und ich wollte das eigentlich nicht breit treten.«
    »Hattest du Angst, ich nehme dir das übel?« »Ein bisschen.«
    »So ein Quatsch. Ich bin stolz darauf, eine akademische Schwester zu haben. Aber warum hast du keinen Beruf, in dem dir das was nützt?«
    »Weil ich den Abschluss tatsächlich erst vor einem Jahr gemacht habe. Und – ehrlich, das war schon eine ziemliche Plackerei. Danach wollte ich einfach mal ein paar Monate Abstand gewinnen, bevor ich mich in die Tretmühle einer geregelten Anstellung begab. Darum habe ich mich wieder mit dem Team zusammengetan, mit dem ich in den Ferien regelmäßig durch die Clubs gezockelt bin. Ich habe in der Branche einen guten Ruf und habe immer einen Job bekommen. Im Herbst hätte ich eigentlich in einem Auktionshaus anfangen sollen, aber dann passierte der Unfall, und das hat mich, zugegebenermaßen, etwas aus der Bahn geworfen. Deshalb war ich sogar sehr froh, hier mit dir arbeiten zu können. Diese ganzen Klinikaufenthalte, die Medikamente, dieSchmerzen – ich war, wie du weißt, nicht ganz einsatzfähig.«
    »Das wird hoffentlich nach dieser Operation zu Ende sein.«
    »Ja, das hoffe ich auch. Und ich hoffe, ich finde danach wieder eine Stelle, die solche Möglichkeiten bietet, wie ich sie gehabt hätte.«
    »Sie haben sie dir nicht freigehalten?«
    »Warum hätten sie das sollen? Das Leben ist hart, Rose, und Kunsthistoriker sind nicht gerade so selten wie lupenreine Diamanten.«
    Sie hatte sich wieder hingesetzt und den Blätterstapel ordentlich zusammengeschoben.
    »Darf ich das ein paar Tage behalten und mir ansehen?«
    »Natürlich. Ins Krankenhaus nehme ich das nicht mit. Und wer weiß, vielleicht kommt dir ja eine Idee, welchen Sinnzusammenhang die einzelnen Bilder und Texte haben.«
    Cilly hatte sich, am Daumennagel kauend, das Bild des Hrabanus Valens noch einmal angesehen.
    »Du sagst, das ist das Stifterbild. Was ist so ein Stifter?«
    »Jemand, der dem Stift eine Schenkung gemacht hat. Darüber haben sich diese Institutionen finanziert.« »Sie muss ihn ja wohl gekannt haben.«
    »Hat sie«, sagte Rose nachdenklich. »Zumindest hat mir Julian einmal eine Geschichte erzählt, als wir die romanischen Kölner Kirchen abgeklappert haben. Es hatte etwas mit dem Leben der Kanonissen zu tun, aber frag mich nicht, worum es dabei ging. Ich fand es damals nur unterhaltsam, denn er hat sie alles andere als edel und fromm dargestellt.«
    »Szenen aus dem Mittelalter hat er mir auch hin undwieder geschildert. Aber die habe ich eigentlich nie im Zusammenhang mit diesem Buch gesehen.«
    »Wahrscheinlich finden wir, wenn wir erneut unsere beiden Erinnerungen zusammentragen, einen Sinn heraus, Anita.«
    Roses Augen leuchteten förmlich auf.
    »Mach dir nicht zu viel Hoffnung, bei mir ist da ziemlich wenig zu holen. Aber wir können es versuchen. Ich habe ja die nächsten beiden Wochen viel Zeit zum Grübeln.«

4. Kapitel
 
 Traum und Verwirrung
    Ich war noch nicht richtig wach geworden, irgendwie schien ich zwar im Bett zu liegen und zu träumen. Und trotzdem war ich auf der Straße. Eine nächtliche, mondhelle Straße, doch ungemein belebt, und ich wurde von einer Menschenmasse getrieben, mitgerissen zu einem Platz, zu dem ich überhaupt nicht wollte. Aber ich kam gegen den Strom nicht an, und so ließ ich mich führen. Dann wurden die Schritte der Menge langsamer, hielten ein. Zwischen den hohen Hauben oder den aufgesteckten, in Netzen eingebundenen Haaren der Frauen, den flachen Baretten, den federgeschmückten Kappen und Gugeln der Männer hindurch sah ich das hohe Gerüst im Fackelschein vor mir. Es war mit schwarzem Stoff verkleidet, darauf stand ein ebenfalls schwarzer Sarg zwischen brennenden Kerzen. Zwei Männer befanden sich auf dieser Tribüne, der eine kniete, der andere hob sein Schwert mit beiden Händen. Ich wusste, der eine von ihnen war mein Geliebter gewesen, und ich hatte Angst.
    Dann wachte ich zum Glück endlich richtig auf. Aber was für ein Anblick bot sich mir! Er war überhaupt nicht geeignet, meine Angst zu
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