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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman
Autoren: Andrea Schacht
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interessiert war.
    »Ein Konservator.«
    »Igitt, das hört sich alt an!«
    »Ist er aber nicht. Aber er ist verheiratet, also mach dir keine Hoffnungen.« Und dann öffnete ich das Päckchen und legte den Stapel Seiten auf den Tisch. »Gebunden ist es nicht – auch das Original nicht. Es ist nie fertig gestellt worden.«
    Beinahe ehrfürchtig nahm Rose das erste Blatt des Stundenbuchs in die Hand, das vor fünfhundert Jahren von einer Kölner Stiftsdame angefertigt worden war.
    Ein rechteckiges Bild nahm das obere Drittel des Blattes ein, ein dunkelblauer Nachthimmel voller Sterne, einer zarten Mondsichel auf der rechten und einer aufgehenden Sonne auf der linken Seite. Davor eine Landschaft mit Fluss und Bergen.
    Cilly tippte auf den Text darunter.
    »Was bedeutet das da? Das ist eine komische Schrift. Ich kann sie nicht lesen.«
    »Es ist ein Bibelzitat, und es lautet: ›Preiset den Herrn, Sonne und Mond, preiset den Herrn, des Himmels Sterne.‹ Stammt aus dem Buch Daniel und ist Teil des Lobgesangs der drei Jünglinge im Feuerofen!«
    »Du liebe Güte. Mit qualmenden Socken würde mir so etwas nicht einfallen!« Cilly schüttelte verwundert das Haupt. »Und warum steht das da? Was haben die gebratenen Jünglinge mit dem Buch zu tun?«
    »Ich denke, das ist so etwas wie ein Leitspruch. In der Bibel findest du für beinahe alles ein passendes Zitat.«
    »Du kennst dich wohl sehr gut aus in der Heiligen Schrift?«, fragte Rose.
    »Wenn man ein Buch aus dieser Zeit einigermaßen verstehen will, sollte man recht bibelfest sein.«
    »Na, dann wird unsere Beschäftigung damit ziemlich einseitig ablaufen. Ich habe das Buch der Bücher bisher noch nicht gelesen.«
    »Ist aber seit einigen Jahrhunderten ein echter Beststeller!«, gluckste Cilly. »Wir mussten in der Schule mal die Evangelien lesen. Jesus, Maria und Josef, war das ätzend.«
    »Das waren aber Markus, Matthäus, Lukas und Johannes!«
    »Besserwisserin. Steht von den Jungs auch was in dem Stundenbuch?«
    »Nein, dieses hier bedient sich hauptsächlich der Sprüche aus dem Alten Testament und der Psalmen.« »Was bedeutet Stundenbuch?«
    »Es ist sozusagen eine Gebetssammlung für die sieben Tageszeiten, die man im Mittelalter kannte. Weißt du, Uhren waren noch ziemlich selten, und so hat man den Tag grob von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang eingeteilt. Wer besonders fromm war, hat zu jenen Stunden, den Horen, dann seine Arbeit unterbrochen und gebetet.«
    »Kaffee-Päuschen?«
    »Das hing wohl von dem Einzelnen ab. Die Stiftsdame Anna Dennes wird sich recht diszipliniert daran gehalten haben, ihre Gebete zu sprechen.«
    »Und welche Stunden waren das?«
    »Bei Sonnenaufgang die Laudes, dann zum Arbeitsbeginn die Prim, danach die Terz, die dritte Stunde und, wenn du so willst, die erste Kaffeepause. Die Sext lag um die Mittagszeit, die Non entspricht dem Nachmittags-Käffchen.Vesper war dann Feierabend und die Complet das Nachtgebet.«
    »Die Einteilung ist so ungewöhnlich nicht, wie mir scheint.«
    »Solche Traditionen halten sich lange. Wir wären jetzt etwa bei der Vesper angelangt, und Cilly gießt mir noch einen Kaffee ein!«
    »Jetzt schon Feierabend?«
    »Die Sonne geht um kurz vor fünf unter, danach war früher keine Zeit mehr für Arbeiten, für die man Licht brauchte.«
    »Also zu Bett!«
    »Richtig. Im Winter früher, im Sommer später.« »Wie vernünftig!«, seufzte Rose. »Ich könnte derzeit jeden Tag bis halb neun schlafen!«
    »Im Sommer würdest du dich bedanken, morgens um vier aufzustehen und ohne Frühstück Psalmen zu singen.«
    »Dazu hätte ich auch im Winter um halb neun keine Lust, wenn ich ehrlich sein soll.«
    »Was ist denn das sonst, was du unter der Dusche jodelst?«
    »Sprich nicht davon!«, stöhnte ich. Rose hatte eines gewiss nicht von unserem Vater geerbt – und das war die Musikalität. Als Sängerin war sie eine Heimsuchung. Aber sie war nicht verschnupft, sondern kicherte nur und sagte: »Gut, dann lass uns jetzt mehr zu diesem Stundenbuch hören, Anita!«
    »Also, es umfasst sieben Kapitel, für jede Hore eines. Vorangestellt ist das Kapitelverzeichnis, das Stifterbild und, bei diesem hier, ein Deckblatt mit einer Art Motto. Dann folgen die eigentlichen Kapitel. Es endet mit dem Kolophon, der Schlussschrift mit Angabe der Entstehungszeit und der Autorin, sowie dem Schreiberspruch.«
    »Daher wissen wir, dass es von Anna Dennes stammt.« »Ja, und dass sie Stiftsdame in Sankt Maria im Kapitol war, einem adligen
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