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Der Bernsteinring: Roman

Der Bernsteinring: Roman

Titel: Der Bernsteinring: Roman
Autoren: Andrea Schacht
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Das Seidenkleid!
    Das Wohlgefühl verschwand mit einem Schlag. Die Erinnerung an die vergangene Nacht erwachte. Es ist wahr, dachte sie. Es ist nicht mehr rückgängig zu machen. Ich habe es getan.
    Am liebsten hätte sie die Decke wieder über sich gezogen und sich vor der Wirklichkeit versteckt. Aber sie war nun kein Kind mehr. Mit ihren sechzehn Jahren war sie eine erwachsene Frau. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie biss sich auf den Zeigefingerknöchel, um nicht laut aufzustöhnen.
    Unten im Haus rumorte Horsel herum. Es wurden die Läden geöffnet, ein Kessel wurde scheppernd gereinigt, Holzpantinen klapperten. Alles, wie es normalerweise war, und doch hatte sich jetzt für Anna etwas Entscheidendes verändert. Sie hatte den Weg eingeschlagen, den Horsel für sie bereitet hatte. Den Weg, den auch ihre Mutter gegangen war. Und wenn sie nun nicht kämpfte, würde sich das, was in der Nacht geschehen war, wiederholen. Immer und immer wieder.
    Natürlich, Horsel hatte nicht Unrecht. Es musste etwas geschehen, nachdem ihre Mutter vor zwei Jahren von ihr gegangen war. Der Tod war verhältnismäßig schnell und gnädig gekommen, eine heftige Erkältung, Blut in der Lunge, und nach zwei Wochen stetigen Verfalls war Cosima im Schlaf gestorben. Sie hatte eine Kassette mit Goldstücken hinterlassen, einige gute Schmuckstücke, Seidenkleider und reich verzierten Putz. Horsel hatte nach und nach alles verkauft, damit sie ihr Leben ingleicher Bequemlichkeit weiterführen konnte, und auch jetzt war noch etwas Geld und Schmuck vorhanden. Aber, wie die Amme ganz richtig sagte – es wurde nicht mehr. Es wurde mit jedem Tag weniger. Vor allem, wenn sie weiterhin teure Bücher kaufen würde, Stunden in Latein, Zeichnen und Schönschrift nahm, auf der Laute musizieren lernte und ihre langen schwarzen Haare in Silbernetzen aufstecken wollte. Anna war sich nur zu bewusst, dass auch Horsel, die sich zwar liebevoll und umsichtig um sie und das Haus kümmerte, einen gerechten Lohn erhalten musste. Wäre sie ein ehelich geborenes Kind gewesen, hätte sie vielleicht bei einer Handwerkerin in die Lehre gehen können. Seidweberinnen, Goldstickerinnen, ja sogar Harnischmacherinnen bildeten Mädchen und junge Frauen aus. Aber die Zünfte waren eisern – Uneheliche wurden nicht aufgenommen. Und erst recht nicht ein Kind der Schande, wie sie es war. Cosima war eine liebevolle und wunderbare Mutter gewesen, aber sie war gleichzeitig eine stadtbekannte Unkeusche. Sie war die Tochter eines Wollenwebers und die Witwe eines Tuchmachers. Doch jung war ihr Gemahl gestorben, und sie hatte sich einem Mann hingegeben, der sie nicht geheiratet hatte. Niemand würde sie wirklich eine Hure genannt haben, das nicht. Aber sie war nicht verheiratet, und die Gönner, die für ihren Unterhalt sorgten, wechselten öfter mal. Weil eine ehrbare Beschäftigung für sie somit ausgeschlossen war, hatte Anna schließlich zugestimmt, für den unerhört hohen Betrag, den Horsel gefordert hatte, ihre Jungfräulichkeit zu verkaufen.
    So hatte sie sich denn am Abend zuvor von ihr in das rote Seidengewand kleiden lassen, das einst Cosima gehörte und nun auf ihre Figur umgearbeitet worden war. Ein prachtvolles Kleid war es, gefertigt aus schwerem, glänzenden Stoff, der Halsausschnitt reich besticktmit goldenen und grünen Blattmustern. Das Oberteil schmiegte sich eng an ihren Körper durch die seitliche Schnürung. Der Rock, grün gefüttert, war vorne am Gürtel aufgesteckt und zeigte das Untergewand aus goldgelbem Damast, die bestickten Ärmel fielen lang an den Seiten herab bis fast zu den Füßen. Sie hatte blass darin ausgesehen, und Horsel hatte ihr die Lippen und die Wangen rot geschminkt und auch die Augen, grau und manchmal ein wenig schillernd, mit dunklem Puder umgeben. Ihre langen Haare, die sie gewöhnlich zu einer Zopffrisur aufgesteckt trug, hatte sie lösen müssen, und die schwarzen Wellen waren ihr bis zur Taille herabgewallt. Der kleine Handspiegel zeigte Anna eine Unbekannte. Das hellhäutige Mädchen mit dem offenen, wissbegierigen Blick war verschwunden, eine andere, mit umflorten Augen und lasziven Lippen sah ihr entgegen. Ein schweres Parfüm, süß und wollüstig, hüllte sie in eine Wolke sinnlichen Duftes.
    Dann war Horsel gegangen und hatte sie alleine gelassen. Wartend hatte sie am Fenster gesessen und auf den Freier gewartet, der bereit gewesen war, pures Gold für die erste Nacht mit ihr zu zahlen. Ein ansehnlicher Mann, hatte die Amme gesagt,
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