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Der Bastard

Der Bastard

Titel: Der Bastard
Autoren: Roman Rausch
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wohlgenährt und gepflegt. Die Kleidung bestand aus einer Jeans, Hemd und Turnschuhen, alles Markenware. Karl knöpfte das Hemd auf und entdeckte dabei einen Riss am rechten Ellenbogen. Darunter verbarg sich eine weitere Schürfwu n de. Er fuhr fort, bis der Körper vollständig entkleidet war. An der linken Schulter war nun eine Prellung zu sehen, ebenso am linken Schienbein. Die Knie li e ßen auf beiden Seiten Druckstellen erkennen. Weitere Spuren von Gewalteinwirkung waren nicht vorhanden, auch sexueller Missbrauch konnte ausgeschlossen werden. Karl leuc h tete in den Mund und die Nase des Jungen, um vielleicht noch auf eine Spur von Schaumpilz zu stoßen. Pias Blick ruhte auf dem Ju n gen, der schutzlos auf dem kalten Stahltisch lag.
    «Nichts», sagte Karl.
    «Kein Schaumpilz …» , diktierte Pia automatisch.
    Die schwarze Haut des Jungen spannte sich makellos über die Gesichtsknochen, die Hände zeigten la n ge, schmale Finger, die Füße ebensolche Zehen.
    Karl begann mit der Spurensicherung. Mit einer Pinzette holte er winzige Steinsplitter aus den Schürf wunden und verstaute sie in den dafür vorgesehenen Tüten. Pia dokumentierte, reine Routine. Doch sie arbeiteten heute schweigsamer als sonst, ohne Frotzeleien, nicht einmal von Ernst.
    Pia fühlte plötzlich Rührung in sich aufsteigen. Vor ihrem inneren Auge entwickelten sich die Glied maßen des Jungen zurück ins Kleinkind- und Babya l ter. Alles wurde runder, zarter und hilfloser.
    Während ihre Gedanken wanderten, wiederholte sie automatisch, was Karl ihr diktierte. Sie hatte in den letzten Wochen zahllose Elternzeitschriften g e wälzt, hatte die Entwicklung eines Embryos auf Bildern verfolgt.
    Auch wenn sie prinzipiell alles darüber wusste, wa r e s ein völlig anderes Gefühl gewesen, nach der ersten Ultraschallaufnahme ihres eigenen Kindes, zu sehen, wie es sich im Verlauf der nächsten Monate entw i ckeln würde und danach, wenn es auf der Welt war.
    «Schwach ausgeprägte Paltauf ’ sche Flecken.»
    Und jetzt lag ein Kind tot vor ihr auf dem Obduktionstisch.
    «Emphysema aquosum.»
    Finger, die sich nie mehr um einen Ball schließen würden, Zehen, die nie mehr in kaltes Wasser eintauchen würden, Augen, die niemals wieder lachen oder weinen würden.
    « 1200 Gramm.»
    Und irgendwo da draußen eine Mutter und ein V a ter, die noch nicht wussten, dass ihnen das Schlimmste geschehen war, was Eltern geschehen konnte. In Pias A u gen stiegen Tränen.
    «Pia, hast du ein Problem damit?», drang Karls Stimme in ihr Bewusstsein.
    «Wie bitte? Tut mir leid, ich habe dich nicht ric h tig verstanden.» Pia schluckte und riss sich zusa m men. Sie war bei der Arbeit, auf dem Tisch lag ein Körper, den sie untersuchen musste, wie schon hu n dertfach zuvor.
    «Ist alles in Ordnung?», fragte Karl besorgt.
    «Ja, ja, ich war nur … Mach einfach weiter, ich hör zu.»
    Inzwischen waren Brust- und Bauchbereich des Jungen geöffnet. Karl hatte begonnen, die Organe zu entnehmen, zu vermessen und zu untersuchen. Er nahm gerade den Magen aus der geöffneten Bauc h höhle.
    «Magen, gefüllt, normale Größe.»
    Pia diktierte weiter, was sie von Karl hörte. Sie war nicht bei der Sache. Sie musste sich zwingen, ihren Assoziationen nicht freien Lauf zu lassen.
    «Eindeutig Hirse. Und etwas Grünes. Petersilie oder Salat. Wir machen eine Analyse.»
    Sie versuchte, nicht die Haut des toten Kindes anzusehen, nicht sein Gesicht, seine Hände und seine Füße. Sie heftete den Blick auf den Boden, und wenn sie au f sah, dann nur, um Karl zu signalisieren, dass sie mit seinen Schlussfolgerungen einverstanden war. So brachte sie die Obduktion schließlich hinter sich und ging dann in den Umkleideraum.
     
    K ilian und Heinlein hatten die Obduktion verfolgt, ohne ein Wort zu wechseln. Sie hatten Pias Aussetzer kommentarlos registriert, und erst als sie allein in dem leeren Obduktionssaal standen, brach Kilian das Schweigen.
    «Ich habe gar nichts kapiert. Paltauf ’ sche Flecken, Emphysema aquosum. Keine Ahnung, was das alles zu bedeuten hat.»
    Heinlein grummelte etwas in sich hinein. Dann gab er sich einen Ruck und wandte sich zu Kilian.
    «Wieso hast du es dir eigentlich anders überlegt?»
    Kilian zuckte mit den Schultern.
    «Ich kann doch nicht irgendwo herumgammeln, während Pia unser Kind bekommt.»
    «Du kannst nicht, oder du willst nicht?»
    «Ist doch das Gleiche.»
    Heinlein sah ihn an, und schließlich zog sich ein breites Grinsen auf sein
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