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Der Babylon Code

Der Babylon Code

Titel: Der Babylon Code
Autoren: Uwe Schomburg
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dachte Steiner. Alles ist vergänglich. Die berühmteste Stadt des Orients – zerstört, so vollkommen zerstört wie kaum ein anderer Ort. Gott und Könige vergessen und die Paläste einfach nur Schutt.
    Unter seinen Schuhen wirbelte der Wüstensand bei jeder Fußbewegung. Er hob den Kopf und sah zu Albert Krüger, der nach Osten in die graubraune Wüste blickte, wo keine 50 Kilometer entfernt die alte Königsstadt Kišh lag, in der das Königtum in die Welt gekommen war, auf das sich auch Babylons Herrscher berufen hatten.
    Steiner glaubte mit einem Mal im Flimmern der Wüstenhitze Heerscharen wilder Krieger, prunkvolle Paläste voller Gold und Edelsteine und massenhaft die grauen Gesichter der Namenlosen zu sehen, die unter der jahrtausendelangen Knechtschaft des Königtums gestorben waren. Es war wie eine Fata Morgana. Er schloss kurz die Augen, wandte den Kopf, und die Bilder verschwanden so plötzlich, wie sie gekommen waren.
    Im Westen, wo immer wieder Trupps marodierender Beduinen aus der Wüste auftauchten und die Ausgrabungsstätten überfielen, verschmolz die gleißende Sonne mit dem Wüstensand, und erste violette Schattenwürfe ließen das Ruinenrelief immer plastischer werden.
    Es wurde Zeit. Karl Steiner schlug Krüger auf die Schulter. Sie richteten sich auf und stiegen steifbeinig den Hügel hinab. Auf der Ebene beeilten sie sich, den Gürtel der Dattelpalmen zu erreichen, um in dessen Schutz Richtung Kasr zu marschieren.
    »Werden sie kommen?«, murmelte Albert Krüger. Er war einen Kopf kleiner als Karl Steiner, schmächtig und drahtig, mit hellen, wachen Augen und so misstrauisch wie ein Schakal.
    »Wir werden sehen.«
    Plötzlich wurde die Stille in den Dattelhainen durch ein Geräusch unterbrochen.
    »Dschird«, knurrte Steiner. Eine Wasserhebeanlage, so alt wie Babylon selbst. Angetrieben von einem Stier, hob sie das Wasser des Euphrats in einem Lederschlauch hinauf in Bewässerungskanäle, die zu den höher gelegenen Feldern führten. Ohne Bewässerung würde dort keine einzige Frucht wachsen. Der Strick am Ende des Wasserschlauchs lief über eine auf zwei vorkragenden Palmenstämmen gelagerte Walze und verursachte das knarrende Geräusch.
    »Wir müssen aufpassen. Jetzt bloß keine Scheiße bauen«, sagte Krüger und bewegte sich noch vorsichtiger durch die Haine.
    Krüger war seit Jahren im Grenzgebiet zu Persien bis hinauf in das Zagrosgebirge und hinunter in das vorgeschichtliche Elam unterwegs. Als Geheimagent Seiner Majestät Kaiser Wilhelm II. versuchte er, den Einfluss der Briten zurückzudrängen, die mit einzelnen Scheichs Schutzverträge abschlossen, obwohl ihre Stammesgebiete zum Osmanischen Reich gehörten.
    Die Briten hatten gerade erst eine Niederlage erlitten. Nachdem das Osmanische Reich 1915 auf Seiten der Achsen-Mächte in den Ersten Weltkrieg eingetreten war, waren die Briten mit einer Expeditionsarmee in Basra gelandet und hatten versucht, Bagdad zu erobern. Aber Kutal-Amara hatte am 29. April 1916 nach monatelanger Belagerung kapituliert, und General Townsend war mit 13 000 zumeist indischen Soldaten in Gefangenschaft geraten.
    Karl Steiner war in Bagdad stationiert und Verbindungsoffizier der deutschen Botschaft in Istanbul zu den siegreichen osmanischen Streitkräften, die bis vor wenigen Tagen vom preußischen Generalfeldmarschall Colmar Freiherr von der Goltz befehligt worden waren. Seit April 1915 hatte der Freiherr, der 1909 beinahe deutscher Reichskanzler geworden wäre, in Diensten des Osmanischen Reiches gestanden und die osmanischen Streitkräfte in Mesopotamien und Persien befehligt, nachdem er bereits ein Vierteljahrhundert zuvor die große Osmanische Militärreform maßgeblich beeinflusst hatte und einer der angesehensten Ausländer im Osmanischen Reich überhaupt gewesen war.
    Aber Goltz-Pascha, wie sie ihn nannten, war tot. Zehn Tage vor dem großen Sieg war er in Bagdad an Flecktyphus gestorben, den er sich in einem Lazarett beim Besuch Verwundeter geholt hatte.
    Steiner war fünf Jahre vor Goltz-Pascha in Bagdad eingetroffen und beobachtete seitdem die verdächtigen Aktivitäten der Briten. Deren Agenten waren als Händler getarnt im ganzen Land unterwegs, und außerdem bereisten zu viele Archäologen Arabien und Persien, von denen so mancher nebenbei spionierte.
    »Behalten Sie auch unsere Ausgrabungen in Babylon im Auge«, hatte ihn die deutsche Botschaft angewiesen. »Wenigstens diese Funde gehören nach Berlin!«
    Seit einem drei viertel Jahrhundert
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