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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke
Autoren: Gary Jennings
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Knochengerüst historischer Daten und Geschehnisse einigermaßen zutreffend festzuhalten. Manchmal fiel es sogar mir selbst schwer, meine eigenen Bilder ohne Stocken vorzulesen, und sei es auch nur nach den wenigen Augenblicken, die es dauerte, bis die Farben trocken waren.
    Aber Eure Wortkundigen und ich, wir haben geübt, während wir auf die Ankunft Eurer Exzellenz warteten, und ich bin erstaunt, ja, überwältigt, wozu ein jeder von Euren verehrten Schreibern fähig ist. Sie sind nicht nur imstande, den Inhalt dessen, was ich sage, niederzuschreiben und mir samt allen Betonungen, Pausen und Hervorhebungen meiner Rede wieder vorzulesen. Ich hätte das für eine besondere Begabung an Gedächtnis und Ausdrucksvermögen gehalten – denn auch wir hatten unsere Wort erinnerer –, doch sagen sie mir, ja zeigen und beweisen mir, daß all dies auf ihrem Papier steht. Euer Exzellenz, ich schätze mich glücklich, Eure Sprache so fließend sprechen gelernt zu haben, wie es meinem armen Kopf und meiner armen Zunge möglich war – zu schreiben wie Ihr, das würde ich nie schaffen!
    In unserer Bilderschrift waren es die Farben, die sprachen, die Farben, die sangen oder weinten, die Farben, die unabdingbar dazugehörten. Wie viele verschiedene es deren gab: Magentarot, Ockergold, Ahuácatlgrün, Türkisblau, Chocólatl, das Rotgelb des Zirkonsteins, Tonerdengrau und Mitternachtsschwarz. Und trotz dieser Vielfalt waren sie nicht imstande, jedes einzelne Wort mitzubekommen, ganz zu schweigen von den feineren Unterschieden und den gefälligen Wendungen. Genau darauf versteht sich jedoch jeder einzelne von Euren Wortkundigen: jede Silbe für immer festzuhalten, und das nur mit einem Federkiel statt mit einer Handvoll Rohr und Pinseln. Und das Wunderbarste von allem – mit nur einer Farbe, diesem rostschwarzen Absud, von dem sie mir gesagt haben, es sei Tinte.
    Sehr wohl, Euer Exzellenz: Da habt Ihr es in einer Ecker – den Unterschied zwischen uns Indianern und euch weißen Männern, zwischen unserer Unwissenheit und eurem Wissen, zwischen unserer alten Zeit und eurem neuen Heute. Erfüllt es Euer Exzellenz mit Genugtuung, daß mir allein der Strich eines Federkiels das Recht Eures Volkes vor Augen geführt hat, zu herrschen und unseres Volkes Schicksal, beherrscht zu werden? Weiter bedürfen Euer Exzellenz doch gewiß nichts von uns Indianern: als einer Bestätigung, daß der Sieg des Conquistadors vorbestimmt ist, und zwar nicht durch seine Waffen und seine Feuerkraft, nicht einmal durch seinen Allmächtigen Gott, sondern kraft seiner eingeborenen und natürlichen Überlegenheit über tiefer stehende Wesen wie uns. Euer Exzellenz sind gewiß nicht mehr auf mich oder meine Worte angewiesen.
    Meine Frau ist alt und leidend, niemand kümmert sich um sie. Ich will nicht so tun, als ob meine Abwesenheit ihr Kummer bereitete, aber es ärgert sie. Da sie kränkelt und von aufbrausendem Wesen ist, tut Ärger ihr nicht gut. Und mir auch nicht. Daher möchte ich Eurer Exzellenz für den Empfang, den Eure Exzellenz mir altem Wurm gewährt haben, danken und Euch bitten
    Verzeihung, Euer Exzellenz. Wie Ihr sagtet, ich habe nicht Eure Erlaubnis zu gehen, wann es mir paßt. Ich stehe Euer Exzellenz zu Diensten, solange
    Nochmals Verzeihung. Es war mir weder klar, daß ich in diesem kurzen Gespräch mehr als dreißigmal »Euer Exzellenz« gesagt habe, noch daß ich es in einem besonderen Tonfall gesagt hätte. Aber der peinlich genauen Zählung Eurer Schreiber kann ich nicht widersprechen. Fürderhin werde ich mich also bemühen, meine Ehrerbietung und meine Begeisterung für Euren Titel zu zügeln, Señor Bischof, und mich eines untadeligen Tons befleißigen. Und weiter fortfahren, wie Ihr befehlt.
    Nur, was soll ich sagen? Womit könnte ich Eure Ohren geneigt machen, mir zuzuhören?
    Nach unseren Begriffen bin ich hochbetagt. Ich bin nicht in meiner Kindheit gestorben, wie es so viele von unseren Kindern tun. Auch bin ich weder den Kriegertod noch den heiligen Opfertod gestorben, wie es so viele bereitwillig getan haben. Ich bin weder übermäßigem Pulquegenuß noch dem Angriff eines Raubtiers, noch dem schleichenden Verfall derer zum Opfer gefallen, die von den Göttern mit Auszehrung geschlagen werden. Auch bin ich nicht daran gestorben, daß ich mir eine der gefürchteten Krankheiten zugezogen hätte, die mit euren Schiffen gekommen sind und an denen Tausende und Abertausende zugrunde gegangen sind. Ich habe sogar die Götter
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