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Der Azteke

Der Azteke

Titel: Der Azteke
Autoren: Gary Jennings
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der Herr Seine Hand über Leib und Leben Eurer geheiligten Person und das weltumspannende Reich Eurer Majestät halten und Eure Besitztümer und Herrschaften sich noch auf ungezählte Jahre hinaus vermehren, wie Euer königliches Herz es begehrt.
    Euer S.C.C.M. allergetreuester Diener und Hofkaplan,
(ECCE SIGNUM) FR. JUAN DE ZUMÀRRAGA
BISCHOF VON MEXÍCO
APOSTOLISCHER INQUISITOR
PROTEKTOR DER INDIANER

Incipit
    Chronik eines älteren Indianers männlichen Geschlechts aus dem gemeinhin Azteken genannten Stamme, berichtet Seiner Exzellenz, dem Hochwürdigsten Herrn Juan de Zumàrraga, Bischof von Mexíco, und verbatim ab originí aufgezeichnet von
    P. GASPAR DE GAYANA J.
P. TORIBIO VEGA DE ARANJUEZ
P. JERÓNIMO MUNOZ G.
P. DOMINGO VILLEGAS E YBARRA
ALONSO DE MOLINA, interpres

Dixit
    MEIN HERR
    Verzeiht mir, mein Herr, daß ich nicht weiß, in welcher Form ich Euch geziemend anzureden habe, doch denke ich, ich laufe nicht Gefahr, Euch zu beleidigen, mein Herr. Ihr seid ein Mann, und kein Mann unter all den Männern, denen ich im Laufe meines Lebens begegnet bin, hatte jemals etwas dawider, als »Herr« angeredet zu werden. Also, mein Herr
    Euer Exzellenz, dann?
    Ayyo, noch vornehmer – das, was wir hierzulande einen Ahuaquáhuitl nennen würden, einen Baum großen Schattens. Soll es also Euer Exzellenz sein. Um so mehr beeindruckt es mich, daß eine so hervorragende Persönlichkeit jemanden wie mich hat rufen lassen, in Gegenwart Eurer Exzellenz das Wort zu ergreifen.
    O nein, Euer Exzellenz, begrabt Euer Mißtrauen, auch wenn es scheint, als ob ich Eurer Exzellenz schmeichelte. Der Ruf, den Ihr ganz allgemein in dieser Stadt genießt, und diese Eure Diener hier haben mir deutlich gemacht, welch erlauchter Mann Ihr seid, Euer Exzellenz, wohingegen ich nichts bin als ein ausgefranstes, fadenscheiniges Tuch, nur mehr ein Hauch von dem, was ich einst war. Euer Exzellenz stehen stattlich gekleidet da, selbstbewußt und von Eurer überragenden Bedeutung durchdrungen, wohingegen ich nur ich bin.
    Nun begehren Euer Exzellenz von dem zu hören, was ich einst war. Auch das hat man mir erklärt. Euer Exzellenz wünschen zu erfahren, wie es meinem Volk ergangen ist, wie es in diesem Lande ausgesehen hat und welch ein Leben wir geführt haben in den Jahren und in den vielen Schock Jahren, ehe der König Eurer Exzellenz, seine Kreuzesträger und Armbrustschützen geruhten, uns vom Joch unserer Barbarei zu befreien.
    Stimmt das? Dann ist es freilich keine Kleinigkeit, was Euer Exzellenz da von mir verlangen. Denn wie soll ich in diesem kleinen Raum, mit meinem kleinen Verstand und in dem bißchen Zeit, das die Götter – der Herrgott – mir vielleicht noch zugestehen, meine Wege und meine Tage zu beenden, die Unendlichkeit dessen wieder heraufbeschwören, was unsere Welt war, die bunte Vielfalt der Völker, die darin lebten, die Ereignisse in Schock um Schock Jahre.
    Bemüht Eure Phantasie und stellt Euch vor, Ihr wäret dieser Baum großen Schattens, Euer Exzellenz! Seht im Geiste, wie groß er ist, die mächtigen Äste und die Vögel darauf, das üppige Laub, die Sonne, die darin spielt, die Kühle, welche er einem Haus spendet, einer Familie, dem Mädchen und dem Knaben, die meine Schwester und ich waren. Könnten Euer Exzellenz diesen Baum großen Schattens zurückverwandeln in die Ecker, die der Vater Eurer Exzellenz einst zwischen die Beine Eurer Mutter warf?
    Yya ayya, ich habe den Unmut Eurer Exzellenz erregt und Eure Schreiber entsetzt. Verzeiht mir, Euer Exzellenz. Ich hätte wissen müssen, daß der Umgang, den die weißen Männer in ihren vier Wänden mit ihren weißen Frauen pflegen, anders sein muß – von größerer Zartheit – als jener, zu dem ich sie unsere Frauen vor aller Augen habe mit Gewalt zwingen sehen. Und der christliche eheliche Umgang, aus dem Eure Exzellenz hervorgegangen sind, ist gewiß noch
    Ja, ja, Euer Exzellenz, ich höre auf.
    Aber Euer Exzellenz erkennen meine Schwierigkeit. Wie nur soll ich Euer Exzellenz dazu bringen, auf einen Blick den Unterschied zwischen unserem niedrigen Damals und unserem höheren Heute zu begreifen? Vielleicht genügen nur wenige Striche, und Ihr braucht Euch nicht die Mühe zu machen, weiter zuzuhören.
    Seht Euch Eure Schreiber an, Euer Exzellenz, oder wie sie in unserer Sprache heißen, die »Wortkundigen«. Ich bin selbst Schreiber gewesen und weiß noch sehr wohl, wie schwierig es war, auf Kitzhaut, Faser- oder Borkenpapier das allen Fleisches beraubte
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