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Der Augenjäger / Psychothriller

Der Augenjäger / Psychothriller

Titel: Der Augenjäger / Psychothriller
Autoren: Sebastian Fitzek
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nuckelt er nicht mehr am Daumen und nässt nur noch jede zweite Nacht ein, aber tief in meinem Inneren weiß ich, dass er mir Franks Tod nie verzeihen wird. Wochenlang in der Hand einer psychopathischen Bestie gefangen gehalten, war Frank sein einziger Verbündeter gewesen, und ich hatte ihn ermordet.
    Vielleicht hat Dr. Roth recht, und Julian wird irgendwann versuchen, mir zu vergeben, aber am Ende, bin ich mir sicher, wird er es nie verwinden. Das sehe ich in seinem Blick, den er mir jede Nacht schenkt, kurz bevor ich das Licht lösche. Es ist der Blick eines alten Mannes.
    Offiziell warte ich auf meinen Prozess, und dank dem Geschick meines Anwalts bin ich auf Kaution frei. Er hofft, das Gericht kommt zu dem Schluss, ich sei schon genug gestraft. Meine Frau ist tot, mein Sohn traumatisiert und Alina hat jeden Kontakt mit mir abgebrochen, seitdem sie aus dem künstlichen Koma erwachte und die Diagnose hörte, dass sie niemals Kinder bekommen kann. Ich kann verstehen, dass sie mir aus dem Weg geht, und ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich nur für eine Weile ist, wie John vermutet. Denn auch wenn ich nicht das Messer führte, das ihr die Gebärmutter zerfetzte, so war ich doch der Magnet, der die Qualen anzog, unter denen sie heute noch zu leiden hat.
    So wie Julian. So wie alle, die mir nahestanden.
    Nur John ruft mich hin und wieder an. Er ist ebenso wie ich von Selbstzweifeln zerfressen, fragt sich, ob er in den wenigen Stunden, die uns geblieben waren, nicht mehr hätte tun können, als ausgerechnet zu Iris zu gehen. Durch ihn weiß ich, dass Alina nicht mehr arbeitet und die meiste Zeit des Tages vor dem Computer in virtuellen Selbsthilfegruppen verbringt. Angeblich soll sie letztens Begriffe wie Hornhautrand und Stammzellentransplantation gegoogelt haben. Vieles in ihr ist abgestorben, nur der Wunsch, eines Tages wieder sehen zu können, anscheinend nicht, und sie tut alles, um ihn zu unterdrücken. John sagte sie, sie fühle sich wie eine Frau, die das Kind eines Vergewaltigers gebären solle, ein Gedanke, der angesichts ihrer Verletzungen doppelt grausam ist. Einerseits wünscht sie sich ein Leben ohne Dunkelheit. Andererseits hasst sie den Urheber dieses Traums. John meint, ich sollte selbst die Initiative ergreifen. Er hat mir die Zeiten genannt, zu denen sie mit TomTom spazieren geht, und einmal habe ich mich schon in den Park gewagt und ihr von weitem dabei zugesehen. Es war Sonntag, sehr ruhig, kaum Verkehr auf den Straßen. Sie hätte es gehört, wenn ich ihren Namen gerufen hätte. Doch was, wenn sie stehen geblieben wäre? Was hätte ich zu ihr sagen können? Dass es mir leidtut? Dass mein Anwalt meint, die Menschenleben, die ich gerettet habe, würden meine Fehler wieder aufwiegen? Kann Alina, kann irgendwer mir verzeihen, weil ich schon genug gestraft bin?
    Ich denke, nein.
    Denn am Ende hat Scholle die Wahrheit gesagt. Es mag irrational sein, aber ich kann mich nicht selbst belügen. Ich fühle mich keinen Deut besser als er. Fast jeder Mörder kann Ihnen seine Motive erläutern. Der Selbstmordattentäter, der das Schicksal seines Volkes rächen will, indem er sich vor einem Straßencafé in die Luft sprengt, fühlt sich ebenso im Recht wie ein Wahnsinniger, der Vätern beibringen will, sich mehr zu kümmern, indem er ihre Kinder entführt, oder wie Suker, der schweigende Opfer wegen unterlassener Hilfeleistung »bestrafte«. All diese Mörder halten ihre Taten für gerechtfertigt und sind sich im Moment der Ausführung keiner Schuld bewusst. So wie ich, der glaubte, den Tod seines Sohnes zu rächen, und den Falschen dafür büßen ließ.
     
    Sie wollen nicht, dass die Geschichte so endet? Dass mein Leben zerstört bleibt und Scholle nach seiner Nacht-und-Nebel-Flucht aus einem Neuköllner Krankenhaus nicht gefasst wurde?
    Sie wünschen sich womöglich, dass alles gar nicht so schlimm war und Frank laut einem Expertengutachten auch ohne meine Intervention gestorben wäre? Ach ja, und dass Nicola in Wahrheit gar kein Auge verloren hat, sondern Suker ihr nur leichte, aber reparable Schäden zufügte, bevor er feststellte, dass er doch nicht ihre Hornhaut zerschneiden wollte?
    Tut mir leid, Sie zu enttäuschen. Ich schreibe keine Hollywood-Drehbücher.
    Immerhin, Nicola ist noch am Leben, auch wenn sie sich bis heute nicht erklären kann, wie Alina von der Waffe in der obersten Schublade wissen konnte, mit der es ihr gelungen war, Iris zuvorzukommen und sie zu erschießen. Heute lebt sie wieder
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