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Der Aufgang Des Abendlandes

Titel: Der Aufgang Des Abendlandes
Autoren: Karl Bleibtreu
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notwendig auf einen beschränkten
Scheingott im Jehovastil, um ihre pfiffige Pflichtpredigt im Sklavenkatechismus mundgerecht zu machen. Doch wahre Ethik kann
sich nur aus einem wahren erkannten Gott ableiten. Nicht weil sie sklavisch dessen Geboten gehorchen will, denn alles echte
Ethische glaubt freiwillig aus sich selbst heraus zu handeln. Es gibt hier aber so wenig ein Wollen als ein Sollen, sondern
nur ein Müssen, weil jeder nur nach dem Maßstab seiner eigenen Karma-Persönlichkeit ethisch handeln kann,
nach seinem besonderen Imperativ der Pflicht gegen sich selbst.
    So verführerisch Kants These (Hieb gegen den Pfaffengott) sich einschmeichelt, der Mensch habe aus seiner eigenen
sittlichen Erhabenheit gleichsam Gott geschaffen, d. h. die Gottesidee entwickelt, so darf man wehmütig lächeln,
wie hier ein Großer und Edler sich mit der Allgemeinheit verwechselt. Von diesem kostbaren Schatz »Sittengebot im
eigenen Busen« hat der Durchschnittsmensch kaum einen Pfennig, und so hoch wir von unsern Urahnen denken, so verzichtet
wohl selbst Kant darauf, ihnen eingeborene Sittlichkeitswürde von solcher Tragweite zuzutrauen. Dagegen wird ihnen
»die Erhabenheit des Sternenhimmels über mir«, das wirkliche von Kant bestaunte Wunder, neben dem nur
eingebildeten des »Sittengesetzes in mir«, sofort so eingeleuchtet haben, daß sie sehr bald auf
»Gott« schlossen, was Chaldäer und Ägypter später als Sternenkunde fortsetzten. Das Trachten des
menschlichen Herzens sei böse von Jugend auf, mag Jehova von seinen Hebräern übertrieben verallgemeinern, aber
sicher brachte Moses die Gesetzestafel erst vom Sinai, d. h. nicht der Mensch gebar das Licht der Ethik, sondern es blitzte
ihm von den Sternen herab, in deren Diamantschrift er Unsterblichkeit las. Da erkannte er, daß er nackt war, und raffte
sich nun zu sittlicherer Waffnung auf. »Berauscht von Ewigkeit« rief er mit Byrons Kain: »Mein Gedanke ist
dieses Alls nicht unwert, bin ich auch nur Staub«, somit ahnte er sein innerstes Wesen als ewig wie das All und die
anstaunende »Furcht Gottes« zwang ihn aus Ehrfurcht zu gottesfürchtiger Sehnsucht nach Besserung, je nachdem
er sie verstand. Der kindlichste Ammenglaube ist vernünftiger als der Unglaube, der, wenn er überhaupt etwas denkt,
die einzige positive Tatsache leugnet, auf der selbst die unreifste Frömmelei fußt: nämlich die Unendlichkeit
und hiermit das für uns Transzendentale. Metaphysik beiseite schieben heißt den einfachsten Phänomenen den
Rücken kehren, daß wir von Gnaden des Äthers und der Sonne atmen und »leben«. Alle irdische
Materie (andere kennen wir nicht) wird überhaupt erst bedingt durch alles für uns Transzendentale und alle
»Ideen«, die der Materialist ablehnt, steigen so unabweisbar aus dem Schoß der Unendlichkeit auf, deren
notwendige Attribute sie sind, daß der Unglaube einem Schwimmer gleicht, der lieber ertrinken als schwimmen will. Das
unendliche Weltenmeer verlangt, daß wir schwimmen und jeder für sich den Glaubenshafen erreiche. Denn dies eine
unzweifelbare Wissen der Unendlichkeit ist gerade die freundliche Strömung, die unsere Vernunft sicher durch alle
Klippen zum Hafen trägt.
    Wenn Weininger spottet, mit Chemie könne man nur Exkrementen des Lebens beikommen, so befaßt sich jede
rationalistische Ethik auch nur mit Exkrementen der Vernunft. Der zum Denken Erwachte findet in sich nicht den kategorischen
Imperativ – wie soll er etwas entdecken, was nicht da ist! –, sondern »Gott«, die große
Wirklichkeit. Die moderne Europäervernunft steht freilich so tief, teils durch semitische Mythologie verdorben, teils
durch verzwickte Wissenschaftsallegorie entkräftet, daß sie die sogenannte Mystik, den Todfeind kirchlichen oder
gelehrten Aberglaubens, als Aberglauben verspottet. Aber der als Rationalist beginnende Kant geriet bei zunehmender Denkreife
so sicher in sein Corpus mysticum hinein, daß er neben der rein subjektiven Erscheinung nur der »intelligibeln
Welt« Objektivität zuerkannte und sich zu dem denkwürdigen Satze aufschwang: könnte man Welt und Ich auf
den Grund gehen, so würde man sich unter lauter »geistigen Naturen« sehen, mit denen unsere wahre
Gemeinschaft »weder durch Geburt anfing noch durch den Lebenstod endet!« Er predigt also unbewußt aus
eigener Erkenntniskritik die Karmalehre! Diese aber widerspricht durchaus der Priorität eines ethischen Sollens, da sie
gerade kausales Müssen
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