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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt
Autoren: Carol Birch
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Pflanzen und außerdem alles über das Meer. Das eine oder andere Buch zog ich heraus. Audubons »Vögel Amerikas«. Herrliche Bilder.
    »Nimm es«, sagte Dan. »Los.«
    Es war ein wunderschönes Buch, schon der Geruch und das Gefühl, wenn man es anfasste. Während des restlichen Besuchs lag es in meinem Schoß, und mit den Händen strich ich sanft über seinen Einband. Als ich mich an der Türschwelle verabschiedete, schien plötzlich die Sonne, und ein Strahl fiel auf den Einband.
    »Ich fahre wieder zur See«, erklärte ich ihm.
    Er nickte. »Wahrscheinlich das Beste im Augenblick. Das Meer gibt einem Mann Zeit zum Nachdenken.«
    Ich hielt das Buch hoch. »Ich werde es in Ehren halten.«
    »Los, zieh ab«, sagte er und gab mir einen Schubs.
     
    Ich lief hinunter zum Victoria-Dock, sah mich dort um, fand ein Schiff, das nach Spanien fuhr, und heuerte an. Mama gab mir eine Ohrfeige, als ich es ihr erzählte.
    »Wie kannst du es wagen!«, schrie sie. »Wie kannst du mir das antun!«
    »Mama«, sagte ich, und Tränen schossen mir in die Augen, »der Blitz schlägt nicht zweimal an derselben Stelle ein.«
    »Woher willst du das wissen!«
    »Hör mal, Mama«, sagte ich, »ich könnte schon morgen von einer Droschke überfahren werden. Denk doch vernünftig.«
    »Sprich mir nicht von Vernunft«, sagte sie, und einen Moment lang tat mir mein Entschluss leid, aber es war zu spät. Ich hatte noch zwei Tage.
    »Mama«, sagte ich und legte ihr die Hände auf die Schultern, »ich muss einfach was machen. Es ist doch nur Spanien. Das Meer gibt einem Mann Zeit zum Nachdenken.«
    »Ach«, sagte sie bitter, »dann hast du das also in all den Monaten da oben« – sie warf einen Blick zur Decke – »nicht getan?«
    Doch sie beruhigte sich wieder, so wie sie es immer tat, und ich ließ mich umsorgen und mir Suppe und Brot bringen. Von Mich-nicht-ziehen-lassen-Wollen war nicht mehr die Rede.
     
    Unser Käptn ruft alle Mann
    Lossegeln wollen wir morgen
    Überlassen die hübschen Mädchen
    Ihrem Kummer und ihren Sorgen.
    Wein nicht um mich
    Denn ich blick nicht zurück
    Mich erwarten fließende Brunnen
    Und immerwährendes Glück.
     
    Komisch, wie traurig das klingt.
     
    Und wieder zog ich um die Welt, es gab Abenteuer und Mädchen und gute Freunde, und ich kaufte mir ein Akkordeon und lernte Santy Anno zu spielen. Mit dem Walfang war es vorbei, aber ich war ohnehin durch damit. Von jetzt an fuhr ich auf Handelsschiffen und Klippern, nicht mehr diese langen Seereisen. Ich segelte nach Spanien und Holland und zu den baltischen Küsten, einmal auch nach Alexandria, und kam ansonsten ziemlich regelmäßig für kurze Zeit nach Hause. Ein- oder zweimal traf ich Ish, und wir waren höflich, aber befangen miteinander. Einmal sah ich sie zusammen mit ihrem Verlobten, ei
nem gutaussehenden Kerl, größer als ich. Begegnungen mit Ish waren mir sehr unangenehm. Danach musste ich immer sofort nach Hause und ins Bett, mit dem Kopf unter dem Kissen und schmerzender Seele. Ich war auf dem besten Weg, einer dieser Salzwassertypen zu werden, die gerade so lange an Land bleiben, wie sie brauchen, um ihre Heuer auszugeben. Aber ich entdeckte meine Lust am Lernen.
    16
    Es gibt Abzweigungen und Umwege, verhedderte Wolle, die entwirrt und zu einem Knäuel aufgewickelt werden will, aber das mache ich nicht. Eine Brühe ist es, in die man alles Mögliche geworfen hat, das jetzt darin herumschwimmt, Dinge, die nicht passen, verlorene Dinge, Irrläufer. Herein und hinaus schlingern wir, Wellen aus Zeit und Eindrücken, die ewig ans Ufer rollen, endlose Wellen, die zu endlosem Gekräusel werden, immer kleiner und schwächer, bis der Schlaf kommt.
    Manchmal gehen wir die alten Orte aufsuchen. Er hat sich verändert, der Highway, so wie ein Gesicht sich verändert, bis man das Gesicht unter dem Gesicht unter dem Gesicht entdeckt. Meng ist verschwunden. Ebenso Spoony's. Und es heißt jetzt auch nicht mehr Ratcliffe Highway, sondern St. George im Osten, aber alle hier in der Gegend sagen immer noch Highway und werden es garantiert auch weiter tun.
    Es gibt ein Lied, vielleicht kennen Sie es:
     
    Käptn bin ich und Offizier, juhu,
    Und Koch der NANCY -Brigg
    Und Mittschiffjunge und Steuermann
    Und die Mannschaft vom Beiboot dazu.
     
    Weiß der Himmel, wie viele Strophen es hat. Einmal habe ich einen Mann das ganze Ding auf der Bühne im Empire vortragen hören, und Sie hätten erleben sollen, wie die Leute sich halb krank lachten. Wirklich komisch, nicht
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