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Der Atem der Welt

Der Atem der Welt

Titel: Der Atem der Welt
Autoren: Carol Birch
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Wandbehängen, Uhren und Masken aus aller Welt geschmückt war. Durch eine offene Tür rannten Kinder rein und raus.
    »Dort hinein«, sagte sie. In dem Zimmer standen kleine Tischchen und große gepolsterte Sessel, eine Wand war voller Bücher, auf dem Teppich lauter Rosen, und ein großer, würdevoller Hund hielt es nicht für nötig, sich von seinem bequemen Lager vor dem Kamin zu erheben. In einem Käfig vorm Fenster saßen zwei Rosenköpfchen, die auch Liebesvögel heißen, Brust an
Brust und beäugten den Raum. Und dann die lärmenden Kinder, ich weiß nicht, wie viele, aber sie nahmen mich überhaupt nicht zur Kenntnis, bis Dan erschien und mich wie einen lang vermissten Sohn umarmte. Da umringten sie mich neugierig, und selbst der Hund erhob sich. Es war komisch, Dan zu Hause zu erleben. Er ließ sich, offenbar einfach so, gerade einen echten Seemannsbart wachsen.
    »Alice!«, rief er. »Jaffy ist da!«, und da kam sie, die hochgewachsene Frau jenes lang vergangenen Morgens am Greenland-Dock (Morgenluft, Teer, Schweiß, Bier, Tim und ich, die zusammen stehen, Ishbel, die winkt, rote Schuhe, schwarzes Tuch), bückte sich lächelnd, um mich auf die Wange zu küssen.
    »Endlich«, sagte sie herzlich. »Danke, dass du ihn nach Hause gebracht hast, Jaffy.«
    »Anders herum«, murmelte ich. »Er hat mich nach Hause gebracht.«
    Sie hatte einen großen Mund mit schmalen Lippen, ein sehr kantiges Gesicht, und Falten bildeten sich in ihren Augenwinkeln. Wirklich freundlich, das war sie. Ihre dunkelbraunen Augen blickten fest und intelligent. »Was du auch meinen magst«, erklärte sie, »du hast ihn nach Hause gebracht.«
    Eines der Mädchen servierte Tee, und ich hatte das Gefühl, alles drehe sich um mich. Allmählich gewöhnte ich mich daran, dass ich der Kannibalenjunge war. Alle acht Kinder von Dan waren da, der Älteste ein langsamer, strohblonder Junge von fünfzehn, der Jüngste ein schmuddeliger Knirps, der auf dem Knie seiner großen Schwester an seiner Faust knabberte. Sie rückten alle zusammen, standen oder saßen und starrten einfach nur. Ich zwinkerte einem der Kinder zu, einem kleinen Jungen, der verschüchtert wegblickte. Dan scheuchte die Bande auseinander, ließ mich im größten Sessel am Kamin Platz nehmen und setzte sich mir gegenüber. Er grinste wie verrückt und beugte sich vor, um an der Kamineinfassung ein Streichholz anzuzünden. Der
Hund stupste ihn behutsam gegens Knie und wurde mit einem rauen Kraulen an seinem sandfarbenen schlaffen Hals belohnt. Dans Frau schenkte den Tee aus.
    »Zucker?« Sie stand da, den Löffel bereit.
    »Drei bitte.«
    »Süßes für die Süßen.« Sie lächelte. Als sie sich setzte, erinnerte mich die Art, wie sie, in einer einzigen langen, eleganten Bewegung, ihre Röcke raffte, den Rücken streckte und ihre Tasse an die Lippen führte, an Tänzerinnen, die ich gesehen hatte, Mädchen in Paddy's Goose und im Empire.
    Ich hätte gern zu ihr gesagt: Er hat ununterbrochen von Ihnen geredet. Es wurde schon zu so etwas wie einem Witz, er und seine Alice. Aber es war sehr seltsam. Ich konnte es nicht. Irgendetwas war hinderlich. Sie fragte sehr freundlich nach meiner Mama und der Familie und ob ich schon Zeit gehabt hätte, mir zu überlegen, was ich demnächst machen wolle, und ich lachte und sagte, ich hätte die Qual der Wahl. Wir saßen noch eine Weile beisammen und sprachen über dies und das und nichts Besonderes, bis sie aufstand und alle Kinder mit der Bemerkung, sie sei sicher, dass wir zwei noch einiges zu bereden hätten, vor sich her aus der Tür scheuchte.
    »Wollt ihr noch mehr Tee?«, fragte sie an der Tür.
    »Brandy«, sagte Dan.
    »Dann also Brandy.«
    Der Brandy war gut. Wir saßen am Kamin, rauchten und süffelten bedächtig. An unsere Unterhaltung erinnere ich mich kaum.
    »Sie ist sehr nett«, sagte ich, »deine Alice. Sie ist reizend.«
    Er nickte. »Hab einfach Glück gehabt. Weiß der Himmel, wieso.«
    »Du hast eine Menge Bücher.«
    Er drehte den Kopf und blickte zur Wand. »Geschichte der Natur«, sagte er.
    Ich stand auf und trat an die Bücherwand. Es gab die Werke von Charles Darwin, Alfred Russel Wallace, Charles Lyell und Thomas Huxley; allerdings kannte ich zu dem Zeitpunkt die Namen von keinem der Autoren, außer Darwin, von dem jahrelang ein dicker Foliant in Mr Jamrachs Büro stand. Dans eigene Notizhefte und Kurzberichte über seine Reisen füllten ein ganzes Regal, und der Rest waren Bücher über Säugetiere, Vögel, Fische und
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