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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt
Autoren: Jonas Winner
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aufgefrischte, wieder und wieder umgewälzte Luft, von der schon in Lindenbergers Text die Rede gewesen war. Das Licht war extrem heruntergedimmt, entfernt waren die Bässe einer harten, beinahe herzlosen Musik zu hören. Schemenhaft sah ich einige Gestalten durch die Gänge huschen, konnte jedoch nicht erkennen, ob es sich um Dienstpersonal oder Gäste handelte.
    Würde ich ihr hier begegnen? Der jungen Frau, die in dem Text ›Mia‹ genannt worden war? Ich spürte, wie mich der Gedanke, sie nach all dem, was sie erlitten hatte, vor mir zu sehen, ja, sie befragen zu können, was sich am 25 . September wirklich in der Villa zugetragen hatte, zutiefst beunruhigte, ja, beinahe beängstigte.
    Langsam lief ich den Gang hinunter, der sich hinter der Eingangstür eröffnet hatte. Außer der Musik war jetzt auch entferntes Stimmengewirr zu hören, ein helles Lachen, Gläserklirren. Ich spürte einen Luftzug und drehte mich um. Hinter mir überquerten zwei junge Frauen den Gang, zwei eng nebeneinanderher laufende Nachtschattenvögel, von denen ich nicht mehr erhaschte als ein Flattern, einen Blick, das Klappern der Absätze auf Beton, dann waren sie hinter einem Mauervorsprung, der einen anderen Korridor verbarg, verschwunden.
    Ich ging weiter und erreichte kurz darauf die große Halle. Gut drei Dutzend Gäste waren anwesend. Ihre Köpfe und Leiber zeichneten sich schwarz vor den knapp über dem Boden dunkelgrün glimmenden Leuchten ab. Die Längsseite des Raumes wurde von einer massiven Theke eingenommen, dahinter stand ein Regal mit Gläsern bis an die Decke. Mitten in dem Regal befand sich ein vielleicht acht Meter breites Fenster, in dem die Flaschen in sechs Reihen angeordnet waren. Durch die verschiedenfarbigen Flüssigkeiten und das dahinter angebrachte Glas hindurch konnte ich in eine Art überdimensionales Schneckenhaus blicken, dessen geschwungene Formen ich mehr erahnte, als dass ich sie sah, von dem ich aber vermutete, dass es sich dabei um den »Trichter« handelte.
    »Darf ich Ihnen etwas bringen?«
    Der Mann hinter der Theke hatte den Kopf leicht gedreht, um mir sein Ohr hinzuhalten. Heute schien es auch ohne Masken zu gehen. Ich orderte einen Whisky und stützte den Ellbogen auf den Tresen. Im gleichen Moment spürte ich, wie sich etwas zugleich Festes und Weiches von hinten gegen mich schob.
    Ich zuckte zusammen und wollte mich umdrehen, als ich bemerkte, dass sich eine schlanke, schwarze Gestalt, die eben noch zwei Schritte neben mir an der Theke gestanden und mir den Rücken zugewandt hatte, jetzt auch von vorne auf mich zubewegte – ohne sich dabei jedoch nach mir umzusehen. Schon berührte mich ihr Gesäß, während gleichzeitig von hinten eine Hand meinen Bauch umfasste. Aufs höchste irritiert, am meisten vielleicht von der unkontrollierbaren Reaktion, die von meinem eigenen Körper aufgrund der plötzlichen, doppelten, ebenso vorsichtigen wie geschickten Berührung ausging, wollte ich mich dem Griff entwinden. Zugleich spürte ich jedoch, wie die Körper der beiden Frauen, die mich in ihre Mitte genommen hatten, sich fest an mich drückten, und ich erstarrte, als ich sah, wie die vordere sich langsam zu mir umdrehte. Dabei schoben sich ihre Hände unter meine Arme, so dass sie sich mit den Armen der hinteren überkreuzten.
    Es war etwas Dunkles in ihrem Gesicht, das ich niemals vergessen werde. Unwillkürlich musste ich an die Schattenseite, den Widerpart, den Verfall denken, der auch einmal jung sein muss, bevor er sich in einem galoppierenden Prozess der Auflösung und der Verderbnis dem Tod, seiner eigentlichen Bestimmung, entgegenstürzen kann. Davon aber war in dem Augenblick, in dem sie ihren Körper an meinen schmiegte, in ihrem Gesicht nichts zu sehen. Zu sehen war nur, dass dies kein Geschöpf des Lichts, des Tages war, sondern der Nacht.
    In dem Moment, in dem sie bemerkt hatte, dass ich von ihrer Schönheit wie benommen war, löste sie einen Verschluss, der ihr Kleid vorn zusammengehalten hatte. Es glitt zurück und legte einen Körper frei, dessen Nacktheit und vollendete Form geradezu in meine Hände zu springen schien. Als mich ihre warme Haut berührte, wusste ich, dass ich nicht mehr zurückkonnte. Die Erregung hatte mich wie eine Presse, die hinter meinen Ohren angeschraubt war, in ihrer Gewalt, und das Bedürfnis, mit dieser Frau allein zu sein, das hauchdünne Kleid, das noch an ihr hing, von ihr zu reißen, sie ganz zu besitzen, schien wie eine gewaltige Kraft in mir zu
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