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Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt
Autoren: Jonas Winner
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aufgesucht zu haben.«
    »Aber dann würde man doch
ihn,
den Mann, der sie angesprochen hat, befragen und keine Ruhe geben, bis er nicht den Ort des Hauses angegeben hätte!«
    Bens Augen leuchteten. »Würde man das?«
    »Aber natürlich! Geben Sie mir seine Adresse, ich werde ihn umgehend selbst aufsuchen!«
    »Er ist vor drei Tagen zusammen mit mir in dem Haus gewesen.« Seine Stimme war leise geworden und plötzlich hatte es sich wieder verstärkt: mein Gefühl, dass etwas Bedrohliches von ihm ausging. »Seit drei Tagen habe ich nichts mehr von ihm gehört.«
    Die unterschwellige Unruhe, die mich gepackt hatte, seit ich ihm am Vorabend zum ersten Mal begegnet war, breitete sich weiter in mir aus. »Was soll das heißen, Sie haben nichts mehr von ihm gehört?«
    Er hatte den Kopf abgewandt.
    »Herr Lindenberger?«
    Er blickte aus dem Fenster. »Ja?«
    Erst jetzt bemerkte ich, wie ausgezehrt er war. »Wollen wir …« Ich setzte mich in meinem Stuhl zurecht. Hätte ich nicht doch sofort die Behörden informieren sollen? Ich verfluchte meine Unvorsichtigkeit. Es war höchste Zeit, dass ich unser Gespräch zurück in geordnete Bahnen brachte. »Ich nehme an, Sie haben mich mit einer bestimmten Absicht aufgesucht?«
    Er wandte mir langsam den Kopf zu. Das Leuchten war aus seinen Augen gewichen, und sie wirkten fast verträumt, abwesend. »Ja … ja, natürlich.«
    »Kommen wir zur Sache. Was kann ich für Sie tun?« Ich wusste, wie unangenehm meine Stimme klang, aber das war auch meine Absicht. Warum war er hier? Was wollte er von mir?
    »Ja, richtig.« Er trat an den Stuhl, aus dem er aufgesprungen war, und nahm wieder Platz. »Es fällt mir nicht leicht, darüber zu reden.«
    »Kommen Sie, ich bin Anwalt, Sie können sich ganz auf mich verlassen. Ich bin verpflichtet, darüber Stillschweigen zu bewahren, ganz gleich, was Sie mir anvertrauen. Es ist mein Job. Reden wir.« Ich zögerte kurz, sagte es dann aber doch. »Ihr Text … Es ist schon so, dass er meine Neugier geweckt hat.«
    »Ich mache mir Sorgen, verstehen Sie?« Plötzlich wirkte seine Stimme ganz spitz. »Ich fürchte mich … vor mir selbst. Darf ich das so sagen?«
    Ich spürte, wie sich mein Körper anspannte, Gedanken durch meinen Kopf blitzten.
    »Deshalb bin ich hier«, fügte er hastig hinzu, »ich weiß nicht, was ich tun werde –«
    »Was Sie tun werden? Oder schon getan haben?«
    »… tun
werde.
« Er zischte die Worte förmlich hervor. »Es ist … was das Innenhaus mit einem macht, verstehen Sie?«
    Ich schluckte.
    »Götz hat damit experimentiert, zunächst mit Caspar, später allein.« Seine Augen starrten mich an. »Mit der Wirkung, die ein Bau haben kann, wie er einen beeindrucken, beeinflussen kann.«
    Ich nickte, davon hatte ich ja gerade gelesen.
    »Es ist dieses Haus im Haus, es scheint seine Besucher regelrecht zu infizieren.«
    Ich beugte mich vor, unsicher, ob ich mich nicht verhört hatte, prallte im nächsten Moment aber wieder zurück, denn er war erneut aufgesprungen und begann, mit steifen, ungelenken Schritten vor meinem Schreibtisch auf und ab zu staksen.
    »Es muss ja nicht immer gleich ein Virus sein, der einen ansteckt! Denken Sie daran, was passiert, wenn Sie jemanden sich erbrechen sehen!«
    Seine in die Höhlen gesunkenen Augen trafen mich.
    »Ich muss selbst einen Brechreiz unterdrücken«, erwiderte ich spontan.
    »Genau! Wenn Sie beobachten, wie jemand lächelt oder tanzt. Es steckt sie an! Das ist ja ein bekanntes Phänomen. Ein Selbstmord kann ansteckend sein! Eine Idee! Natürlich. Warum gibt es denn so etwas wie religiöse Sekten? Weil der Guru seine Jünger ansteckt. Ich meine, er setzt sich ja nicht mit ihnen hin und überzeugt sie durch Argumente. Nein, er steckt sie förmlich an. Nur wenn er sie ansteckt, entwickelt seine Bewegung wirkliche Kraft, verstehen Sie? Nichts anderes passiert ja bei einer Revolution! Der Gedanke, den Umsturz wirklich durchführen zu können, verbreitet sich wie ein Lauffeuer, bei dem nicht ein brennender Ast den nächsten, sondern ein von der Idee entbrannter Mensch den nächsten ansteckt.« Er wurde immer erregter. »Das ist ja der Kern eines Volksaufstands. Wenn die Menschen überhaupt nicht überlegen, ob sie mitmachen wollen oder nicht, wenn es sie regelrecht
überkommt,
wenn es sie mitreißt, mit sich fortspült – dann klappt es!«
    Ich hatte Mühe, seinen abgehackten, halb verschluckten Sätzen zu folgen, aber er achtete gar nicht mehr auf mich, so besessen war er
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