Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Architekt

Der Architekt

Titel: Der Architekt
Autoren: Jonas Winner
Vom Netzwerk:
war’s?
    Meine Augen wanderten über den Rest der Seite. Sie war weiß bis zum unteren Rand. Ich blätterte um. Es war das letzte Blatt des Manuskripts.
    Beunruhigt schob ich das Papier in das Kuvert zurück, in dem bereits die übrigen fast 400 Seiten lagen, die ich gelesen hatte. Dann lehnte ich mich in meinem Schreibtischstuhl zurück.
    Vor dem Fenster meines Arbeitszimmers begann das fahle Licht der Morgendämmerung bereits einem trüben Wintervormittag zu weichen. Die Stadt war längst wieder zum Leben erwacht. Ich wusste, dass in dem Kalender, der, noch vom gestrigen Abend aufgeschlagen, auf der rechten Seite meines Schreibtischs lag, für den heutigen Tag eine ganze Reihe von Terminen verzeichnet war. Glücklicherweise jedoch keiner vor Gericht. Alle anderen Verabredungen konnte Frau Belting, meine Sekretärin, zur Not verschieben.
    In mir hallten die Begebenheiten wider, die in dem Manuskript geschildert worden waren. Selbstverständlich hatte ich von dem Prozess gegen Julian Götz gehört, nicht jedoch alle Einzelheiten verfolgt. Und der Name Ben Lindenberger war mir gänzlich unbekannt.
    Ich schob meinen Stuhl ein wenig zurück, kippte die Lehne nach hinten und legte die Füße auf den Schreibtisch. Auf der Titelseite des Manuskripts war kein Name verzeichnet gewesen, nur ein Titel.
Der Architekt.
Damit war Götz gemeint, natürlich. Doch woher wusste der Autor so genau über die Umstände und Hintergründe Bescheid? Hatte Lindenberger selbst diesen Text verfasst?
     
    »Ich war mir unsicher … ich meine, konnte das wirklich sein? Ein Haus innerhalb eines Hauses? Ein Haus, das offiziell gar nicht existiert. Ein Haus, in dem alles erlaubt ist? Oder war mir das alles in der Aufregung nur so vorgekommen?«
    Seine Augen strahlten mich an.
    »Ich wollte erst sichergehen, dass es dieses Haus wirklich gibt«, fuhr er fort, »dass es nicht nur eine Einbildung oder vielleicht auch ein nie realisiertes Projekt war. Auf dem Plan, den ich gesehen hatte, waren ja keine Straßennamen verzeichnet. Was hätte ich der Polizei also sagen sollen? Sollte ich sie mit konfusem Gerede verwirren? Dass ich einen Plan gesehen hätte, von einem Häuserblock, in dem sich ein Innenhaus befinden müsste? Die Pläne selbst waren ja nicht mehr auffindbar, das hatte ich schnell erfahren. Ich zweifelte nicht daran, dass Sophie sie vernichtet oder beiseitegeschafft hatte, bevor die Polizei in der Villa eintraf. Was also hätte ich den Beamten erzählen sollen? Nein! Ich war wegen Notwehrexzess angeklagt worden. Aber ich wusste, dass man mich freisprechen würde, darin hatte mich auch mein Verteidiger von Anfang an bestärkt. Ich war in der Villa eingesperrt worden, kein Wunder, dass ich mich gewehrt hatte. So war ich fest entschlossen, erst einmal auf eigene Faust nach dem Haus zu suchen, kaum dass ich auf freiem Fuß wäre, bevor ich darüber redete!«
    Wie er es angekündigt hatte, war der junge Mann, dessen ungestümer Besuch am Abend zuvor mich und Frau Belting aufgeschreckt und der mir das Manuskript in die Hand gedrückt hatte, um Punkt neun Uhr am nächsten Morgen wieder in der Kanzlei erschienen. Frau Belting hatte gerade noch rechtzeitig die Kanzlei betreten, um ihm zu öffnen.
    Ich hatte ein frisches weißes Hemd angezogen, das ich für Notfälle stets im obersten Fach meines Aktenschranks aufbewahrte, meine Sekretärin gebeten, uns einen von ihren vorzüglichen Kaffees aufzubrühen, und meinen Besucher aufgefordert, in meinem Arbeitszimmer Platz zu nehmen. Ich wusste, dass es wahrscheinlich ein Fehler war, ihn nicht gleich zu bitten, sich als Erstes an die Polizei zu wenden. Andererseits, ohne es wirklich zu wollen, hatte ich die ganze Nacht hindurch in dem Manuskript gelesen, das er mir dagelassen hatte. Die Geschichte hatte mich zu fesseln begonnen. Ich war neugierig geworden. Warum hatte er mich aufgesucht? Was wollte er von mir? Dabei spielte bei meiner Entscheidung, ihn zunächst einmal selbst anzuhören, sicher auch eine Rolle, dass ich beim Blick in sein Gesicht immer das Gefühl hatte, einen verwirrten, ja geradezu verschreckten, in gewisser Weise aber aufrichtigen Menschen vor mir zu haben. Warum sollte ich nicht versuchen, etwas für ihn zu tun, wenn er mich darum bat?
    »Und? Haben Sie das Haus gefunden?« Ich sah ihn aufmerksam an.
    Er erwiderte meinen Blick, zögerte, nickte dann aber doch.
    »Und wo ist es?« Ich hatte gar nicht nachdenken können, so rasch war mir die Frage über die Lippen gekommen.
    Diesmal
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher