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Der Anschlag - King, S: Anschlag

Der Anschlag - King, S: Anschlag

Titel: Der Anschlag - King, S: Anschlag
Autoren: Stephen King
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Sie sagen, dass ist Gott, der sich bereit macht, seiner Hände Arbeit einzureißen, wie Samson den Tempel der Philister niedergerissen hat.« Harry trank seinen Whisky aus. Ein rosiger Schimmer überzog seine Wangen, die bemerkenswert frei von Strahlengeschwüren waren. »Und ich glaube, dass sie in diesem Punkt recht haben.«
    »Allmächtiger!«, sagte ich.
    Er betrachtete mich gelassen. »Haben Sie genug Geschichte gehört, mein Sohn?«
    Genug für ein ganzes Leben.
    4
    »Ich muss gehen«, sagte ich. »Kommen Sie allein zurecht?«
    »Bis ich’s nicht mehr tue. Genau wie jeder andere auch.« Er musterte mich prüfend. »Jake, von woher sind Sie reingeschneit? Und warum zum Teufel habe ich irgendwie das Gefühl, Sie zu kennen?«
    »Vielleicht weil wir unsere Schutzengel immer kennen?«
    »Schwachsinn.«
    Ich wollte endlich weiter. Alles in allem glaubte ich, dass mein Leben nach dem nächsten Neustart viel einfacher sein würde. Aber weil dies ein guter Mann war, der in jeder seiner drei Inkarnationen viel durchlitten hatte, trat ich noch einmal an den Kaminsims und nahm eines der gerahmten Fotos herunter.
    »Vorsichtig damit!«, sagte Harry leicht gereizt. »Das ist meine Familie.«
    »Ja, ich weiß.« Ich legte es in seine knorrigen, altersfleckigen Hände, ein leicht unscharfes Schwarz-Weiß-Foto, das vielleicht von einem Kodak-Schnappschuss vergrößert worden war. »Hat Ihr Vater es aufgenommen? Das frage ich, weil er als Einziger nicht auf dem Bild ist.«
    Er sah neugierig zu mir auf, dann betrachtete er wieder das Bild. »Nein«, sagte er. »Das Foto hat eine Nachbarin im Sommer 1958 gemacht. Meine Eltern hatten sich damals schon getrennt.«
    Ich fragte mich, ob die Nachbarin die Frau gewesen war, die mit einer Zigarette im Mundwinkel abwechselnd die Familienkutsche gewaschen und den Familienhund nass gespritzt hatte. Irgendwie war ich mir sicher, dass sie es gewesen sein musste. Wie ein aus einem tiefen Brunnen kommendes Geräusch stiegen aus den Tiefen meiner Erinnerung die skandierenden Stimmen der Springseilmädchen auf: My old man drives a sub-ma-rine.
    »Mein Vater hatte ein Alkoholproblem. Das war damals keine große Sache, viele Männer haben getrunken und sind trotzdem mit ihrer Frau unter einem Dach geblieben, aber er war bösartig, wenn er getrunken hatte.«
    »Jede Wette war er das«, sagte ich.
    Er betrachtete mich wieder, noch genauer, dann lächelte er. Seine Zähne fehlten größtenteils, aber sein Lächeln war durchaus freundlich. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie wissen, wovon Sie reden. Wie alt sind Sie, Jake?«
    »Vierzig.« Obwohl ich in dieser Nacht bestimmt weit älter aussah.
    »Also sind Sie 1971 geboren.«
    Eigentlich war das 1976 gewesen, aber darauf konnte ich un möglich beharren, ohne über die fünf fehlenden Jahre zu sprechen, die in den Kaninchenbau gefallen waren wie Alice ins Wunderland. »Stimmt ungefähr«, sagte ich. »Dieses Foto ist hinter dem Haus in der Kossuth Street gemacht worden.« Wie in Derry üblich ausgesprochen: Cossut.
    Ich tippte auf Ellen, die links neben ihrer Mutter stand, und dachte dabei an die erwachsene Version, mit der ich telefoniert hatte – nennen wir sie Ellen 2.0. Und ich dachte – das war un vermeidlich – an Ellen Dockerty, die harmonische Version, die ich in Jodie gekannt hatte.
    »Hier sieht man es nicht, aber sie war ein kleiner Rotschopf, oder nicht? Lucille Ball in klein.«
    Harry sagte nichts, glotzte mich nur an.
    »Ist sie Komikerin geworden? Oder hat sie was anderes gemacht? Rundfunk oder Fernsehen?«
    »Sie hat als DJ eine eigene Sendung im Regionalsender der CBC «, sagte er mit schwacher Stimme. »Aber woher …«
    »Hier ist Troy … und Arthur, auch als Tugga bekannt … und das sind Sie mit dem Arm Ihrer Mutter um die Schultern.« Ich lächelte. »Genau wie Gott es geplant hat.« Wenn’s nur so bleiben könnte. Wenn.
    »Ich … Sie …«
    »Ihr Vater ist ermordet worden, nicht wahr?«
    »Ja.« Seine Nasenkanüle war verrutscht, und er korrigierte ihren Sitz mit den langsamen Bewegungen eines Menschen, der mit offenen Augen träumte. »Er ist auf dem Longview-Friedhof erschossen worden, als er Blumen aufs Grab seiner Eltern gelegt hat. Nur ein paar Monate nachdem dieses Foto gemacht worden ist. Die Polizei hat einen Mann namens Bill Turcotte verhaftet …«
    Aua, das hatte ich nicht vorausgesehen.
    »… aber er hatte ein unwiderlegbares Alibi, deshalb mussten sie ihn schließlich wieder laufen lassen. Der Täter ist
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