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Der Angstmacher

Der Angstmacher

Titel: Der Angstmacher
Autoren: Jason Dark
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an Sally heran. »Als ich saß und dem Spiel lauschte, da kippte die Melodie auf einmal um.«
    »Wie das?«
    »Zuerst war es wunderbar, einfach phantastisch. Ich konnte mich an den Klängen berauschen. Du hast perfekt gespielt, Kind. Mir sind fast die Tränen vor Rührung gekommen. Dann — ohne Übergang war alles anders. Da flogen mir keine zarten Klänge mehr entgegen, es waren Dissonanzen.« Ellen verzog die Lippen, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. »Widerliche Dissonanzen. Es war einfach nicht mehr zu tragen. Sie umklammerten mich, sie ließen meinen Herzschlag rasen, und ich spürte eine unbeschreibliche Furcht. Das war schon mit der Todesangst zu vergleichen. Genau in dem Augenblick sah ich auch das Gesicht. Und du hast nicht so empfunden?«
    »Nein, Mum, überhaupt nicht. Für mich war es ein Erlebnis, die Saiten zu streicheln.«
    Die Frau hob die Schultern. »Tut mir leid, Kind, da kann ich nicht mitreden.«
    »Jedenfalls ist die Harfe ein wunderbares Geschenk, Mum. Ich möchte dir dafür danken.«
    Ellen Saler gab keine Antwort. Sie drehte ihrer Tochter den Rücken zu, ging zum Fenster und schaute hinaus.
    »Hast du etwas, Mum?«
    »Ja, ich weiß, daß ich einen schweren Fehler gemacht habe, als ich dir die Harfe kaufte.«
    »Nein!« rief Sally schnell. »Das war kein Fehler. Du hast mir ein wunderbares Geschenk bereitet. Nie hast du mir einen größeren Gefallen getan als mit dieser Harfe!«
    »Ich sehe es anders.«
    »Das begreife ich irgendwie, aber…«
    »Du kannst doch auch Violine oder Geige spielen, Kind. Du spielst Klavier, du…«
    »Mum, soll das heißen, daß du mir die Harfe wieder wegnehmen willst? Sei ehrlich.«
    Scharf drehte sich Ellen Saler um. »Ja, Sally, das soll es heißen. Und nichts anderes.«
    Sally glaubte, sich verhört zu haben. Zunächst schüttelte sie den Kopf, dann fragte sie: »Das kannst du nicht im Ernst meinen?«
    Ellen nickte. »Ich spaße nicht! Ich werde diese Harfe persönlich wieder wegbringen!«
    Sally senkte den Blick. Sie schielte auf dieses Instrument und hatte den Eindruck, als würde es auf telepathische Weise zu ihr sprechen. Sie hatte längst bemerkt, daß es zwischen der Harfe und ihr eine Verbindung gab, die geistige Brücke war geschlagen worden, und sie würde diese Verbindung auch nicht einreißen.
    »Das mußt du verstehen, Kind. Dieses Instrument ist mir unheimlich. Ich kann nichts dagegen tun. Wenn du die gleiche Angst durchgemacht hättest wie ich, dann…«
    »Schon gut, Mum!«
    »Dann bist du mit meinem Vorschlag einverstanden. Sally?« Ellens Augen leuchteten auf.
    »Ja, eigentlich schon, bis auf eine Kleinigkeit. Es ist nicht viel, Mum, aber du…«
    »Sag es!«
    Sally schaute ihre Mutter an. »Kann ich die Harfe noch bis morgen behalten? Dann helfe ich dir sogar, sie wieder wegzuschaffen!«
    Das hatte Ellen Saler sich anders vorgestellt. Sie überlegte noch, kam zu dem Ergebnis, daß man sich auf halbem Weg entgegenkommen sollte.
    »Ja«, sagte sie, »es ist klar, es geht schon in Ordnung. Du kannst die Harfe bis morgen behalten.«
    »Danke, Mumy, danke.« Sally streichelte das Holz, als wäre es aus Samt…
    ***
    Hin und wieder ist es in London so heiß, daß die Luft regelrecht zwischen den Häusern steht. Hinzu kamen der Abgasgestank der unzähligen Fahrzeuge und auch andere Gerüche, die eben nicht zu vermeiden waren, denn sogar die Themse roch an solchen Tagen faulig. Jedenfalls hatte ich den Eindruck, als müßte ich bei jedem Schritt, den ich zurücklegte, erst eine dünne Wand wegschieben. Suko war im Büro geblieben und hatte sich ins Fäustchen gelacht, als ich in die Hitze ging, um einem Antiquitätenhändler einen Besuch abzustatten.
    Der Mann wohnte nahe der Portobello Road, also in dem Viertel, das von Flohmärkten und Trödelläden überquoll. Besonders zur warmen Jahreszeit waren die Straßen dermaßen verstopft, als würden die Menschen und Kaufwilligen alles umsonst bekommen. Auch ich konnte mich nur durchschieben, wich schwitzenden Leuten aus oder an wild aussehenden Szenetypen vorbei, die das Verkaufsgeschäft gleichzeitig nutzten, um neue Musik zu machen. Jedenfalls wurde sehr viel ausprobiert.
    Der Trödler hieß Samuel Archer. Er sollte zu den Leuten gehören, die alles verkauften. Vom alten Reklameschild bis hin zur angeblich echten Mumie, die er aus irgendwelchen obskuren Gräbern geholt hatte. Ich kannte ihn nicht persönlich, wußte auch nichts von seinem Problem, aber da gab es noch eine alte Freundin namens
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