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Der Andere

Der Andere

Titel: Der Andere
Autoren: Brian DeLeeuw
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als nur einigen.« Einen Augenblick lang wandte Simon seinen Blick von Claire ab. »Stimmt’s, Jackie?«
    »Eine wundervolle Stadt, ja.« Jackies Stimme war flach, und sie wahrte ihre Distanz zu Claire.
    Simon hockte sich vor uns hin. »Und wer bist du?«
    »Oh, entschuldigen Sie bitte.« Claire schob Luke nach vorn. »Sag hallo zu Simon und …«
    »Jackie.«
    Luke versteckte sich hinter seiner Mutter und klammerte sich an ihren Pullover. Ich untersuchte Simons rötliches Gesicht, jungenhaft und einfach unter seinen Fältchen. Und ich bemerkte Jackies nervöse braune Augen und den besorgten Mund. Sie sah Claire nicht so wie Simon. Sie sah eine völlig andere Person.
    Claire nahm Luke bei der Schulter und versuchte, ihn aus seinem Versteck hervorzuziehen. Er rührte sich nicht. Seine Mutter lächelte das Paar zerknirscht an. Sie wollte mit Luke angeben. »Manchmal will er einfach nicht reden«, sagte sie.
    Simon erhob sich wieder und zuckte mit den Achseln. »Wir haben alle solche Momente.«
    Unvermittelt, in die entstandene Stille hinein, streckte Claire ihre Hand aus und schob eine Strähne von Jackies Haar unter das Tuch zurück. Die Berührung hatte etwas Intimes, Zaghaftes, fast Erotisches. Sie hatte aber auch etwas Kontrollierendes, Herablassendes. Wie ein Maler, der letzte Korrekturen an einem Bild vornimmt. Die Frau wich entsetzt zurück, aber Claire drängte weiter vor und glättete das rote Seidentuch auf ihrer Stirn. »Sie ist Ihnen in die Augen gerutscht«, erklärte sie.
    Jackie schlug Claires Hand weg. »Ich muss doch sehr bitten, entschuldigen Sie.«
    Claire seufzte. »Ich hätte gern das Gesicht für dieses Tuch. Eine Frau muss volle Wangen haben, damit es ihr steht. So wie Sie. Ich würde aussehen wie ein Skelett.«
    »Soll das ein Kompliment sein?«
    Claire strich sich traurig über die Wangenknochen. »Haut und Knochen.«
    Jackie sah über unsere Köpfe hinweg zum Ausgang. Verhaltener Zorn stieg in ihrem Gesicht auf. Ihr Mann war außer sich, ich wusste aber nicht, über wen. Luke machte sich vom Pullover seiner Mutter los, um durch einen Spalt in der niedrigen Mauer auf die Steine und den darunterliegenden Teich zu spähen.
    »Mir ist das sehr unangenehm«, sagte er. »Warum muss sie immer alle Leute ansprechen?«
    »Ich glaube nicht, dass diese Frau sie wirklich mag«, sagte ich.
    »Wen interessiert das? Wer ist sie überhaupt?«
    »Niemand. Lass uns sehen, dass wir hier wegkommen.«
    Eine größere Besuchergruppe ergoss sich auf die Galerie. Sie folgte einem Mann, der ein neonorange leuchtendes Fähnchen auf einem Stock vor sich hertrug. Plötzlich war die Aussichtsplattform überfüllt mit älteren Ehepaaren in gedeckten Farben und mit dem benommenen Blick von Herdentieren. Während sich Claire ihre Arme rieb und ihre Worte abschwächte, verschmolzen Luke und ich mit der Menge faltiger Gesichter und verschwanden.
    Vor der Burg verzweigte sich ein Netz von Wegen in die wilderen Bereiche des Parks. Bäume ragten über die Wege und versperrten die Sicht über ihr Geäst hinaus. Manchmal verloren wir die Häuser ganz aus dem Blick. Wir hätten damals überall sein können, Meilen von allem entfernt. Die wenigen Leute, denen wir begegneten, taten nichts, ließen uns vorbeigehen, stellten keine Fragen. Sie ließen uns, weil das der einfachste Weg für sie war.
    »Meine Mutter wird böse sein«, sagte Luke, wobei er gar nicht ängstlich zu sein schien. Er stellte eine Tatsache fest, mehr nicht.
    »Ja«, sagte ich. »Aber du willst doch jetzt nicht zurückgehen, oder?«
    Er verlangsamte nicht einmal seinen Schritt. Wolken zogen auf, und es wurde kälter. Falls wir überhaupt gewusst hatten, wohin wir gingen, dann hatten wir uns jetzt mit Sicherheit verlaufen. Der Weg wurde steiler, und wir kamen in ein hügeliges Gebiet, in dem sich Wege an dunklen Ecken kreuzten und Sträucher den rissigen Asphalt säumten. Die Wege verschlangen sich ineinander, zogen immer engere Kreise. Luke lachte, um seine Angst zu verbergen. Ich spürte, dass er nervös wurde, als er begriff, was wir getan hatten. Wir hatten keine Chance, den Weg zurück zu finden. Wir mussten Hilfe suchen und die Faustregel aller Kinder brechen: Sprich nie mit Fremden.
    »Wir könnten ein Spiel spielen«, sagte ich. Irgendetwas, um unser Zusammentreffen mit Claire hinauszuzögern. War Luke bei ihr, dann schien es manchmal, als sei ich gar nicht da.
    »Was für ein Spiel?«
    »Verstecken!«, war das Erste, was mir einfiel.
    Er überlegte einen
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