Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der alte Mann und das Meer

Der alte Mann und das Meer

Titel: Der alte Mann und das Meer
Autoren: Ernest Hemingway
Vom Netzwerk:
Ich habe nur einen Nachzügler von den Albacore, die gerade fraßen, aufgelesen. Die andern sind weit draußen an der Arbeit und schwimmen schnell. Alles, was sich heute an der Oberfläche zeigt, bewegt sich sehr schnell und nordostwärts. Kann das an der Tageszeit liegen? Oder ist es irgendein Wettersymptom, das ich nicht kenne?
    Er konnte jetzt das Grün des Ufers nicht sehen, sondern nur die Kuppen der blauen Hügel, die weiß blinkten, als ob sie mit Schnee bedeckt wären, und die Wolken, die wie hohe Schneeberge über ihnen aussahen. Die See war sehr dunkel, und das Licht brach sich im Wasser. Die unzähligen Sprenkel von Plankton waren jetzt von der hochstehenden Sonne wie aufgezehrt, und der alte Mann sah jetzt nur die großen, tiefen Lichtbrechungen in dem blauen Wasser, das eine Meile tief war, in das seine Leinen gerade hinunterliefen.
    Die Thunfische, die Fischer nannten alle Fische dieser Art Thunfische und unterschieden sie nur mit ihren besonderen Namen, wenn sie sie zum Verkauf brachten oder gegen Köder tauschen wollten, waren wieder in der Tiefe verschwunden. Die Sonne war jetzt heiß, und der alte Mann spürte sie auf seinem Nacken und spürte beim Rudern, wie der Schweiß seinen Rücken entlangrieselte.
    Ich könnte einfach treiben, dachte er, und schlafen und eine Schlinge um meine Zehe winden, um mich aufzuwecken. Aber heute sind’s fünfundachtzig Tage, und ich sollte den Tag gut fischen.
    In dem Moment sah er, während er seine Leinen beobachtete, wie einer der ausgeworfenen frischen Stöcke ruckartig eindippte.
    »Ja«, sagte er, »ja«, und holte die Riemen ein, ohne gegen das Boot zu stoßen. Er langte nach der Leine und hielt sie behutsam zwischen Daumen und Zeigefinger seiner rechten Hand. Er spürte weder Druck noch Gewicht, und er hielt die Leine locker. Dann kam es wieder. Diesmal war es wie ein versuchsweises Anrucken, weder stark noch kräftig, und er wußte genau, was es war. In hundert Faden Tiefe fraß ein Marlin die Sardinen ab, die die Spitze und den Schenkel des Hakens bedeckten, wo der handgeschmiedete Haken aus dem Kopf des kleinen Thunfisches hervorragte.
    Der alte Mann hielt die Leine behutsam und machte sie mit der linken Hand vorsichtig von dem Stock los. Jetzt konnte er sie durch die Finger laufen lassen, ohne daß der Fisch irgendeine Spannung spürte. So weit draußen, da muß er riesengroß sein in diesem Monat, dachte er. Friß sie, Fisch! Friß sie! Bitte, friß sie! Wie frisch sie sind, und du da unten, sechshundert Fuß in dem kalten Wasser, dort in der Dunkelheit! Mach noch eine Wendung im Dunkeln und komm zurück und friß sie!
    Er spürte das leichte, zarte Zupfen und dann einen stärkeren Ruck, als es wohl schwieriger war, den Kopf einer Sardine vom Haken abzukriegen. Dann geschah nichts.
    »Los, komm«, sagte der alte Mann laut. »Mach noch eine Wendung. Riech doch nur mal. Sind sie nicht prachtvoll? Friß sie nur ordentlich ab, und dann gibt’s den Thunfisch. Fest und kalt und prachtvoll. Genier dich nicht, Fisch. Friß sie!«
    Er wartete mit der Leine zwischen Daumen und Zeigefinger und beobachtete sie und die anderen Leinen gleichzeitig, denn der Fisch konnte hinab- oder hinaufgeschwommen sein. Dann kam wieder das gleiche zarte, zupfende Tasten.
    »Er wird anbeißen«, sagte der alte Mann vernehmlich. »Gott, hilf ihm, daß er anbeißt.«
    Aber er biß nicht an. Er war weg, und der alte Mann fühlte nichts.
    »Er kann nicht weg sein«, sagte er, »um Christi willen, er kann nicht weg sein.
    Er macht eine Wendung. Vielleicht ist er früher schon mal festgehakt gewesen, und er erinnert sich dunkel daran.«
    Dann spürte er das leise Tasten an der Leine, und er freute sich.
    »Es war nur eine Wendung«, sagte er. »Er wird anbeißen.«
    Er freute sich, als er das sanfte Zupfen spürte, und dann fühlte er etwas Hartes und unglaublich Schweres. Es war das Gewicht des Fisches, und er ließ die Leine, die sich von der ersten der zwei Reserverollen abwickelte, auslaufen, hinunter, hinunter. Als sie hinunterlief und dabei leicht durch die Finger des alten Mannes glitt, konnte er immer noch das große Gewicht spüren, obwohl der Druck seines Daumens und Zeigefingers nahezu unmerklich war.
    »Was für ein Fisch«, sagte er, »jetzt hat er ihn seitlich im Maul, und er zieht damit fort.«
    Dann wird er wenden und ihn schlucken, dachte er. Er sagte das nicht, weil er wußte, daß, wenn man etwas Gutes ausspricht, es vielleicht nicht eintrifft. Er wußte, was das für
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher