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Der alte Mann und das Meer

Der alte Mann und das Meer

Titel: Der alte Mann und das Meer
Autoren: Ernest Hemingway
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merkwürdig in ihren Liebesäußerungen waren und vergnügt mit geschlossenen Augen die portugiesischen Galeeren fraßen.
    Schildkröten hatten für ihn nichts Mystisches, obwohl er viele Jahre lang in Schildkrötenbooten gefahren war. Sie taten ihm alle leid, selbst die großen Leder-Schildkröten, die so lang wie sein Boot waren und eine Tonne wogen. Die meisten Leute haben kein Gefühl für Schildkröten, weil das Herz einer Schildkröte noch stundenlang schlägt, nachdem man sie zerstückelt und ausgeschlachtet hat.
    – Aber, dachte der alte Mann, ich habe genau solch ein Herz, und meine Füße und Hände sind wie ihre. – Er aß ihre weißen Eier, um sich zu kräftigen. Er aß sie den ganzen Mai hindurch, um im September und Oktober den wirklich großen Fischen gewachsen zu sein.
    Er trank auch jeden Tag eine Tasse Haifischlebertran aus dem großen Faß in der Hütte, in der viele Fischer ihre Geräte aufhoben. Er war da für alle Fischer, die welchen haben wollten. Die meisten Fischer verabscheuten den Geschmack.
    Aber es war nicht schlimmer, als zu der Zeit aufzustehen, zu der sie sich erhoben, und er war sehr gut gegen Erkältungen und Grippen, und er war gut für die Augen.
    Jetzt blickte der alte Mann auf und sah, daß der Vogel wieder kreiste.
    »Er hat Fische gefunden«, sagte er laut. Kein fliegender Fisch durchbrach den Wasserspiegel, und man sah auch keine vereinzelten Köderfische. Aber während der alte Mann beobachtete, sprang ein kleiner Thunfisch in die Luft, drehte sich und fiel mit dem Kopf voran ins Wasser. Der Thunfisch schimmerte silbrig in der Sonne, und nachdem er ins Wasser zurückgefallen war, stieg einer und noch einer auf, und sie sprangen in alle Richtungen und peitschten das Wasser zu Schaum und setzten in langen Sprüngen dem Köder nach. Sie umkreisten ihn und stießen ihn vorwärts.
    Wenn sie nicht zu schnell schwimmen, werde ich in sie hineingeraten, dachte der alte Mann, und er beobachtete, wie der Schwärm das Wasser weiß quirlte und wie sich der Vogel jetzt fallen ließ und zwischen die Köderfische tauchte, die in ihrer Panik an die Oberfläche hinaufgetrieben wurden.
    »Der Vogel ist eine große Hilfe«, sagte der alte Mann. In dem Augenblick straffte sich die Achterleine unter seinem Fuß, wo er eine Bucht in der Leine gelassen hatte, und er ließ die Riemen los und fühlte das Gewicht von dem zitternden Ruck des kleinen Thunfisches, während er die Leine festhielt und sie einzuholen begann. Das Zittern nahm zu, während er sie einholte, und er konnte den blauen Rücken des Fisches und das Gold seiner Flanken im Wasser sehen, eh er ihn über die Seite ins Boot schwang. Er lag im Heck kompakt und kugelförmig in der Sonne, und seine großen, unintelligenten Augen stierten, während er durch die hurtigen, zitternden Schläge seines glatten, schnell sich bewegenden Schwanzes gegen die Bootsplanken sein Leben vernichtete. Der alte Mann schlug ihm aus Gutmütigkeit auf den Kopf und stieß ihn, während sein Körper noch zuckte, in den Schatten unterm Heck.
    »Albacore«, sagte er laut. »Der gibt einen wunderbaren Köder. Der wird zehn Pfund wiegen.«
    Er erinnerte sich nicht, wann er zum erstenmal, als er allein mit sich war, laut gesprochen hatte. Früher hatte er, wenn er allein war, gesungen, und er hatte nachts, in einer der Schmacken oder in einem der Schildkrötenboote, wenn er auf Wache allein am Ruder stand, gesungen. Wahrscheinlich hatte er, nachdem der Junge gegangen war, begonnen, laut mit sich selbst zu reden, wenn er allein war. Aber er erinnerte sich nicht daran. Wenn er und der Junge zusammen fischten, sprachen sie gewöhnlich nur, wenn es notwendig war. Sie unterhielten sich nachts oder wenn sie bei schlechtem Wetter auf dem Meer festgehalten wurden. Es galt auf See als Tugend, nicht überflüssigerweise zu sprechen, und der alte Mann hatte es auch immer als solche angesehen und respektiert. Aber jetzt gab er häufig seinen Gedanken laut Ausdruck, da niemand da war, den sie behelligen konnten.
    »Wenn die andern mich laut vor mich hin reden hören, würden sie mich für verrückt halten«, sagte er laut. »Aber da ich nicht verrückt bin, ist es mir gleich.
    Und die Reichen haben Radios in ihren Booten, die ihnen was erzählen und ihnen die Baseballberichte bringen.«
    Jetzt ist keine Zeit, um an Baseball zu denken, dachte er. Jetzt ist es Zeit, nur an eins zu denken. Das, wofür ich geboren bin. Vielleicht ist ein Großer in der Nähe des Schwarms, dachte er.
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