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Der alte Mann und das Meer

Der alte Mann und das Meer

Titel: Der alte Mann und das Meer
Autoren: Ernest Hemingway
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unser Gerät selbst. Er will nie, daß irgend jemand irgendwas trägt.«
    »Da bin ich anders«, sagte der alte Mann. »Ich hab dich Sachen tragen lassen, als du fünf Jahre alt warst.«
    »Ich weiß noch«, sagte der Junge. »Ich bin sofort wieder da. Trink noch einen Kaffee. Wir haben hier Kredit.«
    Er machte sich auf den Weg, barfüßig, über die Korallenfelsen zum Eiskeller, wo die Köder aufgehoben wurden.
    Der alte Mann trank langsam seinen Kaffee. Das war alles, was er den ganzen Tag über zu sich nehmen würde, und er war sich klar darüber, daß er ihn trinken mußte. Seit langem schon hatte ihn die Esserei gelangweilt, und er nahm niemals etwas zu Mittag mit. Er hatte eine Flasche mit Wasser im Bug des kleinen Boots, und das war alles, was er am Tag brauchte.
    Der Junge war jetzt mit den Sardinen und den beiden in eine Zeitung gewickelten Ködern zurück, und sie gingen den Pfad zum Boot hinunter, spürten den steinigen Sand unter den Füßen und hoben das Boot an und schoben es ins Wasser.
    »Mast- und Schotbruch, Alter.«
    »Mast- und Schotbruch«, sagte der alte Mann. Er paßte die Tauwerkverkleidung der Riemen in die Dollen ein, legte sich gegen den Druck der Riemenblätter im Wasser vornüber und begann im Dunkeln aus dem Hafen herauszurudern.
    Andere Boote liefen von anderen Uferstellen aus in See, und der alte Mann hörte das Eintauchen und Rucken ihrer Riemen, wenn er sie auch, da der Mond jetzt hinter den Hügeln stand, nicht sehen konnte.
    Manchmal sprach wohl jemand in einem der Boote. Aber in den meisten Booten war es still bis auf das Eintauchen der Riemen. Nachdem sie aus der Hafeneinfahrt heraus waren, verteilten sie sich, und jeder steuerte auf das Stück Meer zu, wo er Fische zu finden hoffte. Der alte Mann war sich darüber klar, daß er weit hinauswollte, und er ließ den Geruch des Festlandes hinter sich und ruderte in den sauberen, frühmorgendlichen Geruch des Meeres hinaus. Er sah das Leuchten des Golfkrauts im Wasser, als er über den Teil des Meeres ruderte, den die Fischer den großen Tank nannten, weil hier eine jähe Tiefe von siebenhundert Faden [2] war, wo sich alle möglichen Fische einfanden, weil dort durch den Anprall der Strömung gegen die steilen Wände des Meeresgrundes ein Wirbel entstand. Hier sammelten sich Unmengen von Garnelen und Köderfischen an und manchmal an den tiefsten Stellen Schwärme von Tintenfischen, und diese stiegen nachts dicht an die Oberfläche, wo all die wandernden Fische sich von ihnen nährten.
    Im Dunkeln konnte der alte Mann das Kommen des Morgens fühlen, und während er ruderte, hörte er einen surrenden Laut, als fliegende Fische das Wasser verließen, und das Zischen, das ihre starr gestellten Flügel machten, als sie in der Dunkelheit davonsegelten. Er hatte die fliegenden Fische besonders gern; sie waren seine besten Freunde auf dem Ozean. Ihm taten die Vögel leid, besonders die kleinen, zarten, dunklen Meerschwalben, die immer flogen und suchten und fast niemals etwas fanden, und er dachte, die Vögel haben ein schwereres Leben als wir, bis auf die Raubvögel und die schweren großen. Warum machte man die Vögel so zart und fein wie jene Meerschwalben, wenn die See so grausam sein kann? Sie ist gütig und wunderbar schön. Aber sie kann so grausam sein, und es kommt so plötzlich, und diese fliegenden, dippenden und jagenden Vögel mit ihren kleinen, traurigen Stimmen sind zu zart für die See.
    Er dachte an die See immer als an
la mar
, so nennt man sie auf spanisch, wenn man sie liebt. Manchmal sagt einer, der sie liebt, böse Dinge über sie, aber er sagt es immer, als ob es sich um eine Frau handele. Manche der jüngeren Fischer, die Bojen als Schwimmer für ihre Leinen benutzten und Motorboote besaßen, die sie gekauft hatten, als die Haifischlebern viel Geld einbrachten, sprachen von ihr als
el mar
, was das Maskulinum ist. Sie sprachen von ihr wie von einem Konkurrenten oder einer Ortsbezeichnung, ja selbst wie von einem Feind. Aber der alte Mann dachte immer an sie als an etwas Weibliches, als etwas, was große Gunst gewähren oder vorenthalten kann, und wenn sie wilde oder böse Dinge tat, geschah es, weil sie nicht anders konnte. – Der Mond beeinflußt sie, wie er eine Frau beeinflußt, dachte er.
    Er ruderte jetzt gleichmäßig, und es war keine Anstrengung für ihn, da er sich gut innerhalb seines Tempos hielt und die Oberfläche des Meeres bis auf die gelegentlichen Wirbel der Strömung glatt war. Er ließ die
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