Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman

Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman

Titel: Der Alte, dem Kugeln nichts anhaben konnten - Roman
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
der Zungenspitze über die Oberlippe. »Oh, ich verstehe. Busy, busy Buck. Das Spiel hat begonnen, äh?«
    »Ich verstehe nicht, was das heißen soll.«
    Ich musterte den Rest der Trauergemeinde, um Feelys argwöhnischem Blick auszuweichen. Da waren zwei tumbe Typen, die aussahen, als könnten sie mit Jim verwandt sein. Bestimmt waren sie von der Sorte, die nahe genug wohnt, um mit dem Auto vorbeizukommen, und zu einfältig, um eine bessere Beschäftigung zu haben. Einer von ihnen hatte seine Frau und ein hampeliges kleines Kind mitgebracht.
    Überdies anwesend: einige andere ältere Leute, die allein für sich saßen und nicht die geringsten Anstalten machten, miteinem Familienmitglied oder sonst jemandem zu sprechen. Vielleicht waren es seine Freunde, aber vielleicht auch nur Gemeindemitglieder. Vielleicht hatten sie nur seine Todesanzeige in der Zeitung gesehen und waren in der Hoffnung auf eine freie Mahlzeit gekommen.
    Rose und ich setzten uns weiter nach hinten, mit Abstand zu allen anderen, und ich steckte mir eine Zigarette an. Von dem Moment an, da mein Feuerzeug aufflammte, dauerte es weniger als dreißig Sekunden, bis jemand kam und mich aufforderte, die Zigarette auszumachen.
    »Entschuldigen Sie, Sir, aber in unserer Kirche ist das Rauchen nicht gestattet.«
    Er war vielleicht so Mitte dreißig. Glattrasiert. Hellbraunes Haar, kurz und akkurat gescheitelt. Er trug ein blaues Button-Down-Hemd und Khakis. Kein Schlips. Er hatte Grübchen, und als er zu mir sprach, legte er mir freundlich die Hand auf die Schulter.
    Ich reagierte vergrätzt. »Zieh Leine, Zwergpinscher. Siehst du nicht, dass wir trauern?«
    »Sie müssen Buck Schatz sein«, sagte er. Seine Hand berührte mich noch immer. »Emily hat mir von Ihnen erzählt. Ich bin Doktor Lawrence Kind.«
    »So«, schnaubte ich. »Einer der Ärzte? Ihr Jungs habt ja mächtig gute Arbeit an Jim geleistet.«
    Er lächelte mir zu. »Ich bin kein Doktor der Medizin, sondern der Theologie, und ich kümmere mich um die Seele, nicht den Körper. Ich hoffe gewisslich, dass ich für Jim gut gesorgt habe und er in seinen letzten Minuten Frieden gefunden hat.«
    Ich wollte mich dazu äußern, wie Jim gestorben war, hatte aber das eigenartige Gefühl, dass Doktor Kind nach Informationen fischte. Ich betrachtete ihn nochmals ausgiebig. Vielleicht hatte Jim die Sache mit dem Nazi und dem Gold ja bei ihm gebeichtet. Wir saßen hier in einer Kirche der Southern Baptists. Beichteten die Southern Baptists? Nein, soweit ich micherinnern konnte, nicht. Das galt doch nur für Katholiken und Pfingstler. Oder Episkopale vielleicht. Es gab viel zu viele Sorten von Gojim, um sie sich alle zu merken.
    Aber auch wenn dieser Priester nicht die Beichte abnahm, könnte Jim bei ihm sein Gewissen erleichtert haben. Wenn man aus Norris’ seltsamem Benehmen etwas schließen konnte, hatte mein alter Kriegskamerad gegen Lebensende mit seinen Geheimnissen nicht mehr hinterm Berg gehalten.
    Und irgendwas stimmte nicht mit Kind. Er lächelte so, dass sein Gesicht aufzuplatzen schien und man speichelfeuchte rosa Zahnfleischflächen und Lippenfleisch sah. Außerdem wurde man notgedrungen Zeuge, wie seine wieselflinke Zunge zwischen den kleinen krummen Zähnen von Lücke zu Lücke tänzelte. Der Priester schien aber auch ein aufgewecktes Kerlchen zu sein oder sich zumindest dafür zu halten. Also machte ich auf doof.
    »Das hier ist Ihre Kirche?«, fragte ich.
    »Ich sorge für die Seelen dieser meiner Gemeinde, ja.« Er strahlte mich an, und sein Reptiliengesicht erglühte in Gottes grenzenloser Liebe. Ich meinte, einen kalten Schauer zu spüren, der mir den Rücken hinunterlief, aber das mag auch an einer Kreislaufschwäche gelegen haben.
    »Nun, dann wissen Sie bestimmt, wo ein Aschenbecher zu finden ist, oder?«
    Kind runzelte die Stirn. »Buck, Sie dürfen hier drinnen nicht rauchen. Ich hoffe, dass Sie mir keine Schwierigkeiten machen.«
    »Dass man sich nicht mehr darum kümmern muss, es anderen recht zu machen, ist einer der großen Vorteile des Alters«, gab ich ihm zu verstehen. »Die anderen beiden sind das Rauchen und die Möglichkeit, Mitmenschen zu sagen, was ich von ihnen halte. Ich suche niemals einen Ort auf, an dem nicht mindestens zwei dieser drei Bedingungen gegeben sind.«
    »Komisch, dass Sie davon sprechen«, sagte Kind. »Emily nimmt das hier sehr schwer und glaubt nicht, sich hinreichendsammeln zu können, um heute zu reden. Aber es wäre schön, wenn jemand, der Jim
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher