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Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2

Titel: Der Abschiedsstein: Das Geheimnis Der Grossen Schwerter 2
Autoren: Tad Williams
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zerschmolzen unter Simons Füßen wie Ebbe, die ins Meer zurückströmt. Zuletzt verschwand der alte Mann selber. Doch auch während er langsam verblasste wie ein Schatten bei wachsendem Licht, sah Morgenes Simon nicht in die Augen; stattdessen strichen seine knotigen Hände emsig über die Seiten des Buchs, als suchten sie rastlos nach Antworten. Simon rief seinen Namen, aber die ganze Welt war auf einmal grau und kalt, voll von wirbelnden Nebeln und Fetzen anderer Träume …
    Er erwachte, wie es seit den Ereignissen auf dem Urmsheim schon so viele Male der Fall gewesen war, in einer nachtdunklen Höhle und sah Haestan und Jiriki auf ihren Lagern an der mit Runen bekritzelten Steinwand liegen. Der Erkynländer hatte sich schlafend in seinen Mantel gerollt, den Bart auf dem Brustbein. Der Sitha starrte auf etwas, das er in der langfingrigen hohlen Hand hielt. Jiriki schien völlig darin vertieft zu sein. Seine Augen glänzten schwach, als spiegele sich in dem, was er da hielt, die letzte Glut des Feuers. Simon wollte etwas sagen – er war hungrig nach Wärme und Stimmen –, aber schon wieder zupfte der Schlaf an ihm.
    Der Wind ist so laut …
    Klagend fuhr er durch die Bergpässe, als seien es die Turmspitzen des Hochhorstes … die Zinnen von Naglimund … So traurig … der Wind ist traurig…
    Bald war Simon wieder eingeschlafen. Die Höhle war still bis auf ein leises Atmen und die einsame Musik der Höhen.

    Es war nur ein Loch, aber als Gefängnis vollkommen ausreichend. Zwanzig Ellen tief grub es sich in das steinerne Herz des Mintahoq-Berges, so breit wie zwei Männer oder vier Trolle, die Kopf an Fuß liegen. Die Wände waren glattpoliert wie der feinste Marmor eines Bildhauers, sodass selbst eine Spinne große Mühe gehabt hätte, an ihnen Halt zu finden. Der Boden war so dunkel, kalt und feucht wie in allen anderen Verliesen. Obwohl der Mond die verschneiten Spitzen der Berge streifte, erreichte die Tiefe der Grube nur ein dünner Mondstrahl; er berührte, ohne sie zu beleuchten, zwei reglose Gestalten. Schon lange, seitdem der Mond aufgegangen war, hatte sich an diesem Bild nichts geändert: Die bleiche Mondscheibe – Sedda, wie die Trolle sie nannten – blieb das einzig Bewegte in dieser nächtlichen Welt; langsam durchwanderte sie die schwarzen Felder des Himmels.
    Jetzt bewegte sich etwas am Rand der Grube. Eine kleine Gestalt beugte sich hinab und spähte in die dichten Schatten.
    »Binabik …«, rief die hockende Gestalt in der kehligen Sprache des Trollvolks, »Binabik, hörst du mich?«
    Falls einer der Schatten am Boden sich bewegte, geschah es lautlos. Schließlich begann die Gestalt am Rand des steinernen Brunnens von neuem zu sprechen.
    »Neun mal neun Tage, Binabik, stand dein Speer vor meiner Höhle, und ich wartete auf dich.«
    Die Worte wurden intoniert wie ein Ritual, aber die Stimme schwankte unsicher und stockte einen Augenblick, bevor sie fortfuhr: »Ich wartete und rief deinen Namen am Ort des Echos. Nichts scholl zurück außer meiner eigenen Stimme. Warum erschienst du nicht, um deinen Speer wieder zu holen?«
    Noch immer kam keine Antwort.
    »Binabik? Warum erwiderst du nichts? Das wenigstens bist du mir schuldig, ist es nicht so?«
    Der größere der beiden Gefangenen am Boden der Grube rührte sich. Ein dünner Strahl Mondglanz fiel auf blassblaue Augen.
    »Was soll das Trollgewinsel? Schlimm genug, dass ihr einenMann, der euch nie etwas Böses getan hat, in dieses Loch werft, aber müsst ihr ihn auch noch mit euerem unsinnigen Geschwätz belästigen, wenn er zu schlafen versucht?«
    Die Gestalt am Rand der Grube erstarrte für einen kurzen Moment wie ein erschrockenes Reh im Schein grellen Laternenlichts und verschwand dann in der Nacht.
    »Gut.« Sludig, der Rimmersmann, wickelte sich wieder in seinen feuchten Mantel. »Ich weiß nicht, was der Troll da zu dir gesagt hat, Binabik, aber ich halte nicht viel von deinem Volk, wenn sie zu dir kommen und dich verspotten – und mich auch, obwohl es mich nicht wundert, dass sie mein Volk hassen.«
    Der Troll neben ihm schwieg und starrte den Rimmersmann nur aus dunklen, traurigen Augen an. Nach einer Weile drehte sich Sludig wieder um, zitternd vor Kälte, und versuchte zu schlafen.

    »Aber Jiriki, Ihr könnt doch nicht gehen!« Simon, gegen die alles durchdringende Kälte in eine Decke gewickelt, hockte auf dem Rand seiner Lagerstatt. Mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte er gegen eine Woge von Schwindel an; in den fünf
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