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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel
Autoren: Michael Borlik
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Gardisten, die ihm zum Thron folgten und links und rechts davon Stellung bezogen. Amy war dem Prinzen noch nie so nahe gewesen. Er war ein schlaksiger junger Mann mit dünnem blonden Haar und fahl schimmernder Haut, die ihn kränklich wirken ließ. Seine Augen, die in einem tiefen Azurblau erstrahlten und ungewöhnlich wachsam und intelligent dreinschauten, waren das einzige bisschen Farbe in seinem Gesicht. Sogar sein Krönungsgewand, in Gold und Silber gehalten, wirkte matt und glanzlos an ihm. Ein wenig konnte Amy verstehen, warum Tante Hester befürchtete, dass die Nachbarreiche einen König wie ihn nicht ernst nehmen würden.
    Sobald das Läuten der Glocken verebbt war, erhob sich Prinz Henry, um eine Begrüßungsrede zu halten. »Werte Gäste, seid mir willkommen an diesem altehrwürdigen Ort, an dem bereits meine Vorväter gekrönt wurden und heute auch mir die Königswürde zuteil wird, die mich zum Herrscher über dieses Land und sein Volk macht.«
    Tosender Applaus.
    Auch Amy klatschte in ihrem Versteck, was bei dem allgemeinen Getöse niemandem auffiel. Sie hatte erwartet, dass Prinz Henry mit einer dünnen, farblosen Stimme sprechen würde, passend zu seiner schmächtigen Erscheinung. Stattdessen war sie klangvoll und mitreißend, als würde ihr ein eigener Zauber innewohnen.
    Der Beifall verstummte und der Prinz fuhr fort: »Viel zu früh ist mein edler Vater von uns geschieden. Und das Erbe, das er mir hinterlassen hat, ist kein leichtes, doch eines, auf das ich stolz bin. Nicht als Pflicht, sondern als Ehre betrachte ich es, dieses ruhmreiche und mächtige Reich regieren zu dürfen.«
    Erneut erscholl jubelnder Applaus, der erst abflaute, als der Prinz sich setzte. Orgelmusik wurde angestimmt und die Seitenpforte öffnete sich ein weiteres Mal. Herein trat der grauhaarige Erzbischof, der die Krönung durchführen würde. Würdevoll schritt er auf den Thron zu, gefolgt von drei Lakaien, von denen einer die Krone, einer das Zepter und der dritte den Reichsapfel trug. Es wurde eine langwierige Zeremonie, die aus Ansprachen, Gebeten, Chorgesängen und noch mehr Ansprachen bestand, an deren Ende der Erzbischof dem Prinzen die Krone aufsetzte.
    Je länger es dauerte, desto unruhiger wurde Amy. Wo blieben Lucia und die anderen? Sie sah zu ihrer Tante und Lord Winterhall herüber, die sich beide verdächtig ruhig verhielten. Worauf warteten sie bloß? Amy warf Finn und Cornelius fragende Blicke zu, die sie mit einem Schulterzucken quittierten.
    Haben wir uns geirrt?, überlegte Amy fieberhaft. Werden sie doch woanders zuschlagen?
    Nachdem endlich auch alle Lords, Herzöge und Grafen des Königreiches ihre Treueschwüre geleistet hatten, war es an dem neuen König, seinen Eid gegenüber dem Land und dem Volk abzulegen. Erneut erhob er sich von seinem Thron.
    »Hiermit verspreche ich, das Königreich nach den bestehenden Gesetzen zu regieren und alles in meiner Macht Stehende zu tun, um Recht und Gerechtigkeit zu bewahren«, begann er feierlich. »Ich verspreche außerdem, das Volk und all jene, die mir Treue geschworen haben, gegen jeden Feind und jedes Übel zu beschützen, dem Einhalt zu gebieten ich in der Lage bin.« König Henry überreichte das Zepter und den Reichsapfel dem Erzbischof, dann hob er die rechte Hand über den Kopf. Die Menge folgte der Bewegung mit erwartungsvollen Blicken. »Dies schwöre ich bei der Macht des Schwarzen Sterns.« Ein helles Licht glomm in der erhobenen Hand des Königs auf. Als es kurz darauf erlosch, hielt er einen pechschwarzen, funkelnden Kristall darin.
    Amy hielt unwillkürlich den Atem an. Das war er also. Der Schwarze Stern. Mit ihm hatte alles Unheil angefangen und doch war er nichts weiter als ein dummer Stein, der vom Himmel gefallen war.
    »Es ist so weit«, hörte sie Cornelius hinter sich raunen. »Ich kann die Nähe der anderen jetzt spüren.«
    Er hatte kaum ausgesprochen, als die Flügel der Kathedrale wie von einem mächtigen Luftzug getroffen aufschwangen und donnernd gegen das Mauerwerk schlugen. Grellweißes Sonnenlicht flutete in das Innere der Kathedrale. Und als hätte das Licht selber sie dorthin getragen, traten zwölf Menschen hervor. Amy erkannte Lucia, Mr Fraud, Mr Greymore und Mr Black, begleitet von acht weiteren Frauen und Männern, die den Mittelgang entlang auf den Thron zuschritten.
    »Wer seid ihr und was wagt ihr es, diese Zeremonie zu stören?« Die Stimme des grauhaarigen Erzbischofs hallte zornig durch die Kathedrale.
    Im selben
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