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Der 13. Engel

Der 13. Engel

Titel: Der 13. Engel
Autoren: Michael Borlik
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hätte er sie unmöglich als Fälschungen erkannt. Dafür war Cornelius einfach ein zu guter Zauberer.

    Amy zerrte Finn hinter Cornelius her, der erhobenen Hauptes in das dämmrige Innere der Kathedrale schritt. Sobald sie drin waren, wandte er sich zu ihnen um, packte Finn unter dem anderen Arm und manövrierte die beiden zwischen den Gästen hindurch zum Seitenschiff, um dort hinter einer der mächtigen Marmorsäulen Zuflucht zu suchen. Kaum waren sie dahinter verschwunden, ließ Finn den Illusionszauber fallen und sackte zu Boden.
    Amy kniete sich neben ihn und fühlte behutsam seine Stirn. Sie war schweißnass und eiskalt. »Wie geht es dir?«, fragte sie mit ängstlicher Stimme. Finn sah keuchend auf, zu schwach, um einen Ton über die Lippen zu bringen. »Gib ihm ein paar Minuten«, flüsterte Cornelius. »Dann geht es ihm wieder besser.«
    Sie nickte und strich Finn das feuchte Haar aus dem Gesicht. »Was ist mit Lucia?«
    Cornelius schüttelte den Kopf. »Sie ist noch nicht hier.«
    Amy entspannte sich ein wenig. »Was war das eigentlich für ein Auftritt da draußen?« Sie nickte in Richtung des Portals, durch das weitere Gäste in die Kathedrale strömten. »Ich dachte, wir wollten uns so unauffällig wie möglich verhalten.«
    »Wir haben uns so verhalten, wie man es von jemandem unseres Standes erwartet.« Cornelius zwinkerte. »Hätten wir uns angeschlichen, als hätten wir was zu verbergen, wären die Gardisten sofort misstrauisch geworden.«
    Zum Glück erholte Finn sich recht schnell. Die Farbe kehrte in sein Gesicht zurück und er konnte wieder aufstehen. Zwar zitterten seine Beine noch leicht, aber er ließ sich nicht davon abhalten, mit Amy hinter der Säule hervorzulinsen, um zu sehen, was in der Kathedrale vor sich ging.
    Amy stellte sich auf die Zehenspitzen, konnte aber weder ihre Tante, noch Lord Winterhall entdecken. Vermutlich saßen sie auf Ehrenplätzen ganz vorne.
    Lange Reihen von Holzbänken, alle bis auf den letzten Platz besetzt, füllten die Kathedrale. Es mussten Hunderte Gäste sein, alle festlich gekleidet. Die Herren trugen zwar ausnahmslos tristes Schwarz, die Damen waren hingegen ganz offensichtlich bemüht, sich mit ihren Kleidern an Pracht und Farbenvielfalt gegenseitig zu übertreffen. Wohin Amy auch blickte, sah sie schimmernde Seide und edlen Brokat, bestickt mit Perlen und gesponnenem Gold. Viele der adligen Damen trugen komplizierte Hochsteckfrisuren, in denen juwelenbesetzte Haarnadeln oder kostbare Diademe steckten, die im Licht der Kerzen wie Bruchstücke des Regenbogens funkelten.
    »Kommt, ihr zwei«, raunte Cornelius. »Wir müssen weiter nach vorne.«
    Sie schlichen von Säule zu Säule, bis sie die Stelle erreichten, wo sich Mittelschiff und Querschiff kreuzten. Dort, im Herzen der Kathedrale, befand sich der prächtige, mit Gold und rotem Samt ausgestattete Krönungsthron. Die dreizehn leeren Steinsockel, auf denen tausend Jahre lang die Engel gestanden hatten und die ihn nach wie vor umringten, raubten ihm jedoch einen Teil seines Glanzes.
    Plötzlich verfinsterte sich Amys Miene. »Da sind sie ja.« Sie deutete auf die vorderste Reihe der Sitzbänke, wo die Verschwörer saßen. Tante Hester wirkte in ihrem zartrosa, viel zu eng sitzenden Kleid noch dürrer als sonst. Ihre Augenbrauen, buschig wie eh und je, waren dicht über ihren Augen zusammengezogen, die immer wieder nervös zum Eingang der Kathedrale sahen. Neben ihr saß Lord Winterhall. Klein und dick, wie er war, hatte er sich in einen schimmernden weißen Anzug mit Goldborten an den Schultern gezwängt, was ihn zusammen mit seinem Schnurrbart mehr denn je wie ein kostümiertes Walross aussehen ließ. Aufgeregt tätschelte er die Hand einer Frau, die seine Zwillingsschwester hätte sein können. Vermutlich war es Lady Penelope Winterhall, deren Kleid glitzerte und schimmerte, als hätte sie in Goldstaub gebadet.
    »Worauf wartet Lucia noch?«, fragte Amy leise.
    »Ich denke, sie passt den richtigen Augenblick ab. Sie hat schon immer große Auftritte geliebt«, sagte Cornelius.
    Amy blickte zum Portal, dessen mächtige Bronzeflügel gerade von den purpurgewandeten Leibgardisten des nächsten Königs geschlossen wurden. Nun konnte es nicht mehr lange bis zum Beginn der Zeremonie dauern.
    Um Punkt zwölf setzte das Läuten der Glocken ein. Abrupt verstummte das Gemurmel in der Kathedrale. Alle starrten gebannt nach vorne. Eine Seitentür öffnete sich und Prinz Henry trat heraus, geleitet von sechs
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