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Den Tod vor Augen - Numbers 2

Den Tod vor Augen - Numbers 2

Titel: Den Tod vor Augen - Numbers 2
Autoren: Rachel Ward
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entscheiden, ja? Du darfst bestimmen, wann der richtige Zeitpunkt ist?«
    Sie schaut mir fest in die Augen. Sie spürt die Anspannung genauso wie ich und sie macht keinen Rückzieher.
    »Ja, so hat es deine Mum zumindest gewollt. Sie hat mir vertraut.«
    Ich schnaube.
    »Ich bin sechzehn. Ich kann meine eigenen Entscheidungen treffen. Du weißt nichts über mich.«
    »Ich weiß mehr, als du glaubst, mein Junge. Jetzt komm, wieso beruhigst du dich nicht und öffnest erst mal den Brief?«
    Den Brief. Ich hatte fast vergessen, dass er der Anlass unseres Streits war.
    »Ich will ihn allein lesen«, sage ich und drücke ihn an meine Brust. Er gehört mir, nicht ihr. Sie ist enttäuscht. Ich sehe es ihr deutlich an – sie will wissen, was drinsteht, neugierige alte Kuh. Dann schnieft sie laut und greift nach der nächsten Zigarette.
    »Natürlich«, sagt sie. »Natürlich sollst du das. Komm her und sprich mit mir, wenn du ihn gelesen hast. Ich bin hier.«
    Ich nehme ihn mit in mein Zimmer und setz mich aufs Bett. Mein Privatbereich, ein Zimmer nur für mich, nur dass es nicht meins ist. Ich habe bloß ein paar Sachen von mir mitgenommen. Alles andere hier hat meinem Dad gehört: jemandem, der jünger war als ich, einem Jungen, den ich nie gekannt habe und der nie von mir erfahren hat. Ich befinde mich in einem Schrein, umgeben von seinen Sachen. Oma hat nichts verändert, seit er tot ist, und es war klar, dass es ihr wehtat, mich hier reinzustecken, aber es gab kein anderes Zimmer für mich.
    Ich lege den Umschlag in meinen Schoß und starre ihn an. Mums Schrift. Ihre Hand hat den Umschlag gehalten. Ist da noch etwas von ihr? Ich streiche vorsichtig mit den Fingern drüber. Ich möchte lesen, was sie mir sagen wollte, aber gleichzeitig weiß ich, wenn ich es gelesen habe, war’s das. Es wird nichts mehr von ihr kommen. Es wird wie ein Abschied sein.
    Ich will nicht, dass es endet. Dabei weiß ich, dass es längst geendet hat. Ich weiß, sie ist weg, aber ein kleines bisschen von ihr habe ich plötzlich wieder.
    »Mum«, sage ich. Meine Stimme klingt fremd, als ob sie jemand anderem gehörte.
    Ich wünsche mir, dass sie hier wäre. Ich wünsche es mir so sehr.
    Dann öffne ich den Umschlag und sie ist da.
    In dem Moment, als ich anfange zu lesen, höre ich ihre Stimme, sehe sie im Bett aufgerichtet schreiben. Ihre Haare sind weg und sie wiegt kaum noch was. Sie ist so dünn, dass man ihr Gesicht fast nicht mehr wiedererkennt. Aber sie ist es trotzdem noch. Sie ist trotzdem noch meine Mum.
    Lieber Adam,
ich schreibe dies in dem Wissen, dass du es nicht vor meinem Tod lesen wirst. Ich möchte dir so viel erzählen, aber es läuft alles nur auf eins hinaus. Ich liebe dich, habe es immer getan und werde es immer tun.
    Ich hoffe, du wirst dich an mich erinnern, und wenn du anfängst zu vergessen, wie ich aussah, wie meine Stimme klang oder sonst was, mach dir nichts draus. Erinnere dich einfach an meine Liebe. Das ist es, was zählt.
    Ich wünschte, ich könnte dich aufwachsen sehen, aber das kann ich nicht, deshalb habe ich Oma gebeten, sich um dich zu kümmern. Sie ist ein Goldstück, deine Oma. Sei also anständig zu ihr und behandele sie gut.
    Adam, ich muss dich um einen Gefallen bitten. Ich werde dich nicht schützen können, deshalb schreibe ich es dir jetzt: Bleib in Weston oder an einem ähnlichen Ort. Geh nicht nach London, Adam. Ich habe die Zahlen gesehen, als ich aufwuchs. Wir sind uns gleich, du und ich – wir sehen Dinge, die niemand sonst wissen sollte. Ich habe Leuten davon erzählt, ich habe meine eigene Regel gebrochen und herausgekommen ist nichts Gutes. Du darfst es niemandem verraten. Niemandem. Nie. Es gibt nur Ärger. Vertrau mir, Adam, ich weiß es.
    London ist nicht sicher. 01012028. Ich habe die Zahl bei unzähligen Menschen gesehen, als ich aufwuchs. Finde einen Ort, wo die Leute gute Zahlen haben, Adam, und bleib dort. Geh nicht nach London. Lass nicht zu, dass Oma dich dorthin bringt, und halte auch sie von dort fern. Bring sie in Sicherheit.
    Ich gehe jetzt. Ich kann es kaum ertragen, mit dem Schreiben aufzuhören, dir Lebewohl zu sagen. Es gibt nicht genug Worte auf der Welt, um auszudrücken, wie sehr ich dich liebe. Du bist das Beste, was mir je widerfahren ist. Das Allerbeste. Vergiss das nie. In ewiger Liebe.
    Mum xxxxxx
    Eine Träne läuft mir von der Kinnspitze und tropft auf das Papier. Die Tinte breitet sich aus wie ein Feuerwerk und lässt ihre Küsse verschwimmen.
    »Nein!« Ich
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