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Den Jakobsweg erfahren

Den Jakobsweg erfahren

Titel: Den Jakobsweg erfahren
Autoren: Jürgen Frömmert
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Fahrrad wird wie von Geisterhand
abrupt gestoppt. Zum Glück fahre ich sehr langsam, obwohl das starke Gefälle
eher zu Schnellfahren eingeladen hätte. Und noch einmal zum Glück lösen sich
meine Schuhe sofort von den Klickpedalen, denn das Fahrrad überschlägt sich
direkt. Ich fliege wie ein Weitspringer – Leichtathlet aufrecht über den Lenker
und komme mit den Füßen auf den Boden wie ein Fallschirmspringer. Davon bin ich
völlig überrascht. Timo und Siggi waren schneller als ich und schon etwas
voraus. Gut dass nichts Schlimmes passiert ist. Das Rad ist unbeschädigt
geblieben und ich steige wieder auf. Weiter geht es dem Ende der Welt entgegen.
    Am Ende des Gefälles angekommen,
sollten es nach ursprünglicher Berechnung nur noch 14 Kilometer bis zum Ende
der Welt sein. Das setzt verloren gegangene Kräfte frei. In der Ortschaft Cee
nehmen wir, sehr ungewöhnlich für uns, einen Kaffee zur Erfrischung. Als ich
einen „con leche“ und dos (zwei) „americanos“ bestelle, fragt ein Spanier die
Bedienung, was denn wohl ein „americano“ sei. Sie erklärt ihm trocken „Cafe
solo grande“ (ein großer Espresso). Si, Si, Si.
    Gleich nach der Kaffeepause
verhaspeln wir uns allerdings leider wieder. Die heilige Jakob will es uns noch
einmal so richtig zeigen. Vielleicht waren wir in den vergangenen Tagen zu
vorlaut, oder wir hätten Gewohntes zu uns nehmen sollen. Warum auch immer, wir
haben uns verfahren. Wir biegen fälschlicher Weise nach links in Richtung Faro
(Leuchtturm) ab und müssen so eine Schleife in Form eines großen Buchstabens
„U“ drehen, statt geradeaus zu fahren. Landschaftlich ist das sehr reizvoll,
auch die Menschen, die uns walkender Weise entgegenkommen sind eine Augenweide,
aber nach anfänglichem Bergab geht es wieder einmal hoch. Das waren locker 10
Extrakilometer.
    Ab der Ortschaft Finisterre geht
es wieder stramm hoch. Ich kann es einfach nicht fassen. Scharen von
Motorradfahrern überholen uns. Die haben es einfach. Nur den Griff herumdrehen.
Mir brennen wieder die Beine. Ich bin total fertig. Und zu trinken habe ich,
außer dem Flachmann in der Lenkertasche, auch nichts mehr.
    Um 17:10 Uhr kommen wir endlich am Kilometer 0 am Kap Finisterre an.
Wir lassen die Räder am Straßenrand stehen. Der Ausblick ist aufgrund des
trüben Wetters eher bescheiden. Aber wir sind am Ende unseres Jakobsweges
angekommen. Wir haben es geschafft. Was wir uns selbst und andere uns
vielleicht nicht zugetraut haben, haben wir geschafft. Alle Höhen und Tiefen, geologische und emotionale,
sprachliche Barrieren, technische Pannen, haben wir
zusammen gemeistert. Das schmiedet zusammen. Wir drei.
Super.  
    In einer Felsnische verbrennen wir
– wie angekündigt – die Radpilgerkarte. Die will zunächst noch nicht einmal
brennen. Doch letztlich ist sie gegen uns machtlos. Wir meinen es ernst. Die
kommt nicht zurück mit uns nach Hause. Die nicht. Ich leere den Flachmann mit
Rum, die anderen Pilgerbrüder kneifen. Ich meine, dass es sein muss. Wer weiß,
wann ich dieses Kap einmal wieder sehe, wer weiß.
    Wieder oben am Leuchtturm
angekommen setzen wir uns wieder in die Sättel. Vor uns laufen einige ältere
Ehepaare. Sie kommen, wie sollte es auch anders sein, aus Deutschland. Wir
kommen ins Gespräch. Sie erzählen, dass sie aus Borken kommen und wir erzählen,
dass wir aus Lingen hier hin gefahren sind. Jetzt wird erst einmal ausgiebig
getratscht. Da fährt man an das Ende der Welt und trifft Leute aus der
„Nachbarschaft“. Unglaublich.
    Dann fahren wir zurück zur
Ortschaft Finisterre und liefern wir uns mit den Motorradfahrern ein Rennen,
denn es geht bergab. Sie sind kaum schneller als wir. Im Ort angekommen fahren
wir zunächst erst einmal zu einem Supermarkt und kaufen für das Frühstück morgen
ein. Wein brauchen wir heute nicht mehr, das ist sicher. Danach geht es ohne
Umwege zur Bushaltestelle. Es ist bereits nach 18:00 Uhr. Zurückfahren mit dem
Rad geht nicht und war auch nicht geplant. Eine Übernachtung hier sollte auch
nicht sein, denn es gibt hier zwar eine Herberge, die hat aber eine nur sehr
begrenzte Kapazität. So warten wir auf den Bus, der um 19:00 Uhr in Richtung
Santiago abfahren soll. An der Haltestelle lassen wir uns von einem
Einheimischen fotografieren. Das müssen wir bildlich festhalten.
    Gegenüber der Haltestelle ist eine
Bar. Auf der Terrasse, die gut besucht ist, ist noch ein Tisch frei. Wenn das
nicht ein Zeichen ist. Wir verschließen die Räder und bestellen
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