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Den du nicht siehst

Den du nicht siehst

Titel: Den du nicht siehst
Autoren: Mari Jungstedt
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Stimme eines Reporters von Radio Stockholm und brach zusammen. Er ließ sich auf den Boden fallen und konnte einfach nicht aufhören zu weinen. Alle Eindrücke, die er in sich gesammelt hatte, schienen gleichzeitig an die Oberfläche zu kommen. Vor seinem inneren Auge sah er die im Rumpf der Fähre umherschwimmenden Leichen, sah schreiende Menschen, die unter den umherschleudernden Tischen und Schränken eingeklemmt wurden, sah die Panik, die an Bord ausgebrochen war. Er hatte das Gefühl, zu zerbrechen. Ihn schauderte noch immer bei der Erinnerung daran.
     
    Als er seine Wohnung betrat, wurde ihm bewusst, wie unordentlich sie war. In letzter Zeit hatte er einfach alles stehen und liegen lassen. Die Erdgeschosswohnung lag in der Heleneborgsgatan in Södermalm.
    Dass direkt an der Hauswand das Wasser des Riddarfjärds schwappte, war der Zweizimmerwohnung nicht anzusehen. Sie war zum Hinterhof gelegen. Johan machte das alles nichts aus. Er fühlte sich in dieser Gegend wohl; zentral, mit einer Vielzahl an Geschäften und Lokalen in unmittelbarer Nähe, außerdem war die grüne Insel Långholmen mit ihren Spazierwegen und Badefelsen nicht weit entfernt. Besser konnte man doch gar nicht wohnen.
    Aber im Moment war die Wohnung wirklich nicht gut in Schuss. Im Spülstein stapelte sich das Geschirr, der Korb mit der schmutzigen Wäsche quoll über, und auf dem Wohnzimmerboden lagen leere Pizzakartons. Die typische Junggesellenbude. Es roch muffig. Johan stellte fest, dass ihm eine halbe Stunde zum Packen und Aufräumen blieb. Wenigstens den ärgsten Dreck musste er noch beseitigen. Zweimal klingelte das Telefon, während er in der Wohnung hin und her rannte, spülte, lüftete, den Tisch abwischte, Müll wegwarf, die Blumen goss und packte. Er machte sich nicht die Mühe, den Hörer abzunehmen.
    Der Anrufbeantworter schaltete sich ein, und er hörte zuerst die Stimme seiner Mutter, dann die von Vanja. Obwohl sie sich vor über einem Monat getrennt hatten, wollte sie sich nicht damit abfinden.
    Ein Ortswechsel würde ihm wirklich gut tun.
     
    In der Ferne läuft ein einsamer Mann durch den Wald. Sein Blick ist wild und haftet am Boden. Er trägt einen schwarzen Müllsack auf dem Rücken. Die Haare hängen ihm feucht in die Stirn. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Wirklich nicht. Er ist erregt, aber zugleich erfüllt ihn eine innere Ruhe. Er steuert einen bestimmten Punkt an. jetzt sieht er das Meer. Gut. Er ist fast dort, wo er hinwill. Da liegt das Bootshaus. Grau und morsch. Von Unwettern gezeichnet. Von Sturm und Regen. Daneben liegt ein flacher Kahn. Im Boden klafft ein Loch. Das wird er demnächst reparieren. Zuerst muss er sich von seiner Last befreien. Er macht sich lange an dem rostigen Schloss zu schaffen. Der Schlüssel ist seit Jahren nicht mehr benutzt worden. Am Ende gibt das Schloss nach, mit einem Klicken springt die Tür auf. Zuerst wollte er den Inhalt des Sacks vergraben. Aber warum eigentlich? Hier kommt ja doch niemand hin. Außerdem ist er noch nicht bereit, sich von diesen Dingen zu trennen. Er will sie hier haben, damit er jederzeit herkommen, sie ansehen, daran riechen kann. Im Bootshaus gibt es eine alte Küchenbank zum Aufklappen. Er öffnet sie. Darin liegen einige alte Zeitungen. Ein Telefonbuch. Er leert den Sack darüber. Klappt die Bank wieder zu. Er ist zufrieden.

 
     
     
     
    Visbys Polizeigebäude lag gleich außerhalb der Stadtmauer. Es war ein selten scheußliches Haus. Ein viereckiges Etwas aus hellblauem Blech, das eher einer Fischfabrik irgendwo in Sibirien glich als dem Polizeipräsidium der schönen mittelalterlichen Stadt. Im Volksmund wurde das Haus Blocksberg genannt.
    In einem Verhörraum beugte Per Bergdal sich über den Tisch und schlug die Hände vors Gesicht. Seine Haare waren zerzaust, er war unrasiert und hatte eine Fahne. Er zeigte sich nicht sonderlich überrascht, als die Polizei bei ihm im Ferienhaus angeklopft hatte. Schließlich war seine Lebensgefährtin verschwunden. Sie hatten ihn sofort zum Verhör mitgenommen.
    Er steckte sich mit zitternden Fingern eine Zigarette an. Saß da, verkatert und elend. Und offenbar auch betroffen.
    Obwohl das zu diesem Zeitpunkt eigentlich unmöglich zu beurteilen war, überlegte Kommissar Knutas, als er sich auf die andere Seite des Tisches setzte. Immerhin war seine Lebensgefährtin ermordet aufgefunden worden, er hatte kein Alibi und deutliche Kratzspuren an Hals und Armen und im Gesicht.
    Der Aschenbecher vor Bergdal quoll
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