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Den du nicht siehst

Den du nicht siehst

Titel: Den du nicht siehst
Autoren: Mari Jungstedt
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frühen Vormittag nur der leitende Redakteur Max Grenfors.
    Die Leute hier begreifen einfach nicht, wie gut sie es haben, dachte er, während er am Computer die Tagesbeiträge sichtete. Ein gewisses Maß an Feuer und Enthusiasmus musste man nach dem langen Pfingstwochenende doch erwarten können, aber hier herrschte nur Apathie. Nicht genug damit, dass es den Reportern bei der Besprechung an diesem tristen Dienstagmorgen an eigenen Ideen gefehlt hatte, sie quengelten auch wegen der Aufgaben, die ihnen zugeteilt wurden.
    Max Grenfors hatte die Fünfzig knapp überschritten, was man ihm jedoch nicht ansah. Sein inzwischen grau meliertes Haar ließ er regelmäßig bei einem der besten Friseure der Stadt dunkel nachfärben. Seinen Körper hielt er durch lange, einsame Schichten im hauseigenen Fitnessstudio in Form. Mittags zog er Hüttenkäse oder Joghurt vor dem Computer den fetten Gerichten in der lauten Kantine mit seinen lärmenden Kollegen vor. Max Grenfors fand, den meisten Reportern fehle es an Geist und Tatkraft, die er besessen hatte, ehe er schließlich im Redakteurssessel gelandet war.
    Als leitender Redakteur konnte er die Inhalte der Sendungen festlegen, er konnte entscheiden, welche Beiträge gemacht wurden und wie lang sie ausfallen sollten. Er mischte sich gern in die jeweilige Gestaltung ein, was oft zu Verärgerung unter den Reportern führte. Das störte ihn nicht weiter, wenn er nur das letzte Wort behielt.
    Vielleicht lag es an dem langen Winter und dem feuchten, windigen Frühling, mit einer Kälte, die offenbar nicht enden wollte, dass die Müdigkeit wie eine klamme Wolldecke über der Redaktion lag. Die ersehnte Sommerwärme schien noch in ferner Zukunft zu liegen.
    Grenfors markierte die Reportagen, die gesendet werden sollten, und stellte eine Reihenfolge her. Das Hauptthema des Tages war die finanzielle Notlage des Universitätskrankenhauses von Uppsala, gefolgt vom Streik in Österåker, dem nächtlichen Schusswechsel in Södertälje und der Katze Elsa, die von zwei zwölfjährigen Jungen vor dem sicheren Tod auf einer Sperrmüllhalle in Alby gerettet worden war. Echter human touch, dachte der Redakteur befriedigt und vergaß darüber für eine Weile seine Unzufriedenheit. Kindliche Helden und Tiere sprechen das Publikum immer an.
    Aus dem Augenwinkel registrierte er, dass der Nachrichtensprecher die Redaktion betrat. Es war Zeit, die Themen durchzugehen und für die übliche Diskussion der Frage, welcher Studiogast für diesen Abend eingeladen werden sollte.
    Eine Diskussion, die sich, je nach Stimmungslage, zu einem heftigen Disput oder zu einem wunderbaren, anregenden Gespräch entwickeln konnte.

 
     
     
     
    Den Hund entdeckte er zuerst. Erik Andersson, dreiundsechzigjähriger Frührentner aus Ekstra, der seine Schwester in Fröjel besuchte. Zusammen machten die beiden bei Wind und Wetter lange Spaziergänge am Strand, selbst an einem trüben Tag wie diesem.
    Doch heute hatte seine Schwester abgelehnt. Sie war erkältet und wollte lieber im Haus bleiben.
    Erik aber zog es raus. Nach dem gemeinsam verzehrten Mittagessen, Fischsuppe und Preiselbeerbrot, das er selbst gebacken hatte, stieg er in seine Gummistiefel, nahm seinen Anorak und ging hinaus.
    Über den Feldern und Wiesen, die auf beiden Seiten des schmalen Kieswegs lagen, war die Sicht ziemlich klar. Der Morgennebel hatte sich gelichtet. Die Luft war kalt und feucht. Erik Andersson rückte seine Mütze gerade und beschloss, zum Wasser hinunterzugehen. Der Kies knirschte vertraut unter seinen Schuhen. Die schwarzwolligen Schafe schauten von der Weide auf, als er vorüberkam. Auf dem halb verrotteten alten Tor unten beim letzten Waldstück vor dem Strand saßen drei Krähen nebeneinander. Mit beleidigtem Krächzen flogen sie auf, als er näher kam.
    Er wollte gerade den verrosteten Riegel wieder einlegen, da fiel sein Blick auf etwas Seltsames am Wegrand. Es sah aus wie ein Teil von einem Tier. Er trat näher und beugte sich vor. Es war eine Pfote, und sie war blutverschmiert. Sein Blick folgte der Blutspur. Ein Stück entfernt lag ein großer, schwarzer Hund mit weit offenen Augen auf der Seite. Sein Kopf war in einem seltsamen Winkel verdreht und das Fell blutdurchtränkt. Als Erik Andersson näher kam, sah er, dass der Hund enthauptet worden war, der Kopf war fast gänzlich vom Rumpf getrennt worden.
    Ihm wurde schlecht, und er musste sich auf einen Stein setzen. Das Atmen fiel ihm schwer, er hielt sich die Hand vor den Mund.
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