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Dem Winde versprochen

Dem Winde versprochen

Titel: Dem Winde versprochen
Autoren: Florencia Bonelli
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aufgenommen hatten, ging er davon aus, dass er sie noch mahlen sehen würde, bevor er Buenos Aires verließ. Die Oliven und den Leinsamen würde er zu Öl verarbeiten, das Leinen und den Hanf zu Textilfasern, das Obst und Gemüse zu Konserven, den Weizen und das andere Getreide zu Mehl und das Leder zu Manufakturartikeln – Zügel, Sättel, Kleidung, Schuhe. Dafür würde im Gebiet Barracas die modernste Gerberei der spanischen Vizekönigreiche entstehen.
    Aber seine Interessen waren nicht ausschließlich geschäftlicher Natur. Jahre zuvor war er in einer heiklen Mission an den Río de la Plata gekommen. Und während er mit dem Auftrag der britischen Krone beschäftigt war, ließen ihn die Gedanken über die Vorteile, in ein Land mit unbegrenzten Möglichkeiten zu investieren, nicht los. Er liebte Herausforderungen, er liebte es, sich selbst herauszufordern, seine Stärke, seinen Scharfsinn, sein Können. Er war ehrgeizig und unbarmherzig gegenüber sich selbst. Niederlagen akzeptierte er nicht, so etwas kam in seinen Gedanken nicht vor. Er würde die Bustillos entlassen. Sie waren ihm keine Hilfe.
    Der Weg nach El Retiro war in einem miserablen Zustand, der durch das Gewitter vom Vortag noch verschlimmert wurde. Sie hatten die unsichere Brücke des Zanjón de Matorras überquert und lebten noch – ein Wunder, wenn man die Ausmaße der Kutsche bedachte.
    Blackraven schob die Gardine beiseite und sah sich um. Die Morgenröte tauchte den Himmel in ein leichtes Rosa. Er öffnete das Fenster, und die Morgenbrise strich über seine Stirn. Er liebte diesen Augenblick des Tages. Er schlug zweimal mit dem Stock gegen das Dach der Kutsche und erschreckte damit den Hund zu seinen Füßen. Das vertraute Gesicht Somars tauchte in dem kleinen Fenster auf, das die Kabine mit dem Kutschbock verband.
    »Lass uns einen Moment anhalten«, sagte Blackraven. »Das Treppchen, bitte. Ich werde aussteigen.«
    Somar nickte, und der gelbe Turban aus Atlas hob sich von dem im Westen noch dunklen Himmel ab. Die Kutsche schaukelte, als er auf den Boden sprang. Man hörte das metallische Geräusch der Treppe, als sie ausgefahren wurde, und die Tür ging auf.
    Bevor er ausstieg, gab Roger Blackraven seinem Hund, einem Neufundländer von wunderschönem, hohem Wuchs mit dunklem,
üppigem Fell, durch ein Fingerschnippen zu verstehen, dass er ihn begleiten solle. Seine Größe und sein Gewicht wirkten einschüchternd, dabei war es ein treues und friedfertiges Tier.
    Blackraven streckte die Arme aus und versuchte zur Ruhe zu kommen. Er wusste nicht, was ihn auf seinem Landgut El Retiro erwartete. Unklare Situationen waren ihm zutiefst zuwider; er schätzte es, wenn er alles unter Kontrolle hatte. In der komplizierten, verräterischen Welt, in der er sich bewegte, konnten Planlosigkeit und Zufall einen schnell das Leben kosten. Er war stets auf der Hut. Ruhe und Sorglosigkeit waren ein Luxus, den er sich nicht erlaubte.
     
    Am Tag zuvor hatte man ihn im Haus seines Partners Alcides Valdez e Inclán mit schlechten Nachrichten empfangen. Das vor seiner Abreise aus Buenos Aires vor einem Jahr sorgfältig festgelegte Regelwerk war vollkommen durcheinandergeraten. Es herrschte großer Aufruhr in seinen Besitzungen und bei seinen Leuten.
    Das Haus der Valdez e Inclán befand sich in der Calle Santiago, an der Ecke der Calle San Martín, so benannt nach dem Schutzpatron von Buenos Aires, Martín de Dours. Unweit des Forts und der Plaza Mayor stand es in dem Viertel, das unter den angesehenen Leuten als das beste galt. Blackraven fand es amüsant, mit welchem Eifer Spanier und Amerikaner gleichermaßen ihre »Stadt« verteidigten, die im Grunde ein Dorf war. Aber er musste zugeben, dass selbst er der unerklärlichen Wirkung von Buenos Aires erlegen war, dieser Stadt, die nichts zu bieten hatte außer Schwierigkeiten: einen unzugänglichen Hafen, katastrophale Straßen, schlechte Luft, Rudel von tollwütigen Hunden, Berge von Müll und eine große Rattenpopulation. Er fragte sich, ob diese Anziehungskraft wohl von den Frauen ausging, die sehr schön waren, einige gebildet, die meisten sehr leidenschaftlich und auf jeden Fall nicht so prüde wie
die Engländerinnen. Die Frauen von Buenos Aires gefielen ihm, ihr Auftreten war direkt, ohne Ziererei, und sie machten keinen Hehl aus der Bewunderung, die ein Mann wie er in ihnen auslöste.
    Er hatte zweimal den Türklopfer betätigt und kurz darauf im Inneren ein Hin und Her von Schritten gehört. Zufrieden verzog
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