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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben
Autoren: Wilhelm Schmid
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Das Experiment einer pragmatischen Romantik bedeutet für die Lebensform derEhe, auf gefühlvolle Anteile nicht zu verzichten, aber die Einrichtung des Lebens, auf die es im Alltag ankommt, eher der nüchternen Überlegung anzuvertrauen. Weiterhin können die Beteiligten darauf hören, was ihre Gefühle sagen, aber sie können sich mit nüchternen Überlegungen von vornherein auch um eine stabilere Basis bemühen, für den Fall, dass ihre Gefühle ins Wanken geraten. Was Vernunftehe war und zur Liebesehe wurde, kann zur vernünftigen Liebesehe werden, die auf die wiederkehrenden alltäglichen Fragen zwischen zweien (Geldfrage, Sexfrage, Sockenfrage, Machtfrage) und die ewige Unruhe über eine gerechte Verteilung von Gütern und Lasten mit pragmatischen Lösungen zu antworten sucht. Die Romantik ist der Reiz der Ehe, der nicht verlorengehen soll, aber die Pragmatik sichert die Voraussetzungen dafür und verleiht dem freieren Zusammensein festere Formen. Sie stellt den äußeren Rahmen bereit, der den romantischen Inhalt erst ermöglicht, der wiederum dafür sorgt, dass die pragmatische Bewältigung des Lebens nicht nur ein leeres Getriebe bleibt.
    Bei allen Befreiungen stand einem praktikablen Umgang mit der Freiheit die romantische Idee im Weg, alle endlichen Probleme mit der unendlichen Kraft der Gefühle lösen zu können. Das aber hat sich in der Praxis nicht bewahrheitet, sodass es darauf ankommt, ein eigenes Können dafür zu entwickeln, nicht nur mit den Segnungen, sondern auch mit den Schwierigkeiten der Freiheit zurechtzukommen. Das kann heißen, schon auf dem Weg zur Liebe nüchterner als zu romantischen Zeiten den passenden Anderen zu suchen, vielleicht unterstützt von Internet-Partnerbörsen, um Erwartungen aneinander vorweg elektronisch abzugleichen. Das mag nicht sehr romantisch sein, kann sich in der Praxis aber dazu eignen, mit größerer Wahrscheinlichkeit die Richtige, denRichtigen zu finden. Antworten auf neuralgische Fragen wie die, ob der Andere sich Kinder wünscht, müssen nicht mehr in einem jahrelangen Prozess erst sondiert werden, um irgendwann einsehen zu müssen, dass nichts zusammengeht. Letztlich sind allerdings so viele Gründe und Motive an der Entscheidung beteiligt, dass eine aufrichtige Antwort auf die verfänglich einfache Frage bei der formellen Eheschließung, »Ist es Ihr freier Wille?«, eigentlich etwas umfangreicher ausfallen müsste.
    Mehr als je zuvor können Menschen in einer anderen Moderne sich daranmachen, die möglichen Formen der Ehe zu erkunden. Gefragt sind Ideen, sodann aber deren Erprobung, denn nur in der Praxis zeigen sich ihre Stärken und Schwächen. Auch aus einem Scheitern ist viel zu lernen über Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des Lebens und der Liebe und des eigenen Selbst im Umgang mit Anderen. Nur experimentell können Menschen ihre besondere Form der Ehe finden, auch aus anderen Arten von Beziehung können sie hierfür Elemente übernehmen, die ihnen brauchbar erscheinen, um die Ehe möglichst tief atmen zu lassen zwischen Gemeinsamkeiten und der immer neuen Besinnung des Einzelnen auf sich selbst, widersprüchlichen Gefühlen und wechselnden Phasen einer aufflammenden Leidenschaft, ruhigeren Freundschaft, nüchternen Kooperation und gelegentlichen Konfrontation.
    Eine Möglichkeit in zugespitzter Form bleibt weiterhin die leidenschaftliche Ehe mit den Licht- und Schattenseiten heftiger Gefühle, wie sie Clara und Robert Schumann in ihrer romantischen Künstlerehe durchlebten. Sollte es einen »unabwendbaren Konflikt zwischen Leidenschaft und Ehe« geben (Denis de Rougemont, Die Liebe und das Abendland , 1939, deutsch 1966, Vorwort), muss das dennoch niemanden davonabhalten, sich an einer solchen Liaison zu versuchen und ein Scheitern billigend in Kauf zu nehmen; wertvoll sind die Erfahrungen in jedem Fall. Unvereinbar ist die Ehe wohl nur mit der Vollzeitleidenschaft , deren Energieniveau nicht durchzuhalten ist, leicht vereinbar aber mit der Teilzeitleidenschaft , die phasenweise gelebt werden kann. Sie erlaubt das Leben damit, dass die Leidenschaft pausiert, wenn Alltag vorherrscht, und wieder aufflammt, wenn ihr Gelegenheit dazu gegeben wird. Sie ist der schönste Grund des Zusammenseins, aber im Alltag drängen andere Dinge sich vor, Unzulänglichkeiten und unaufhebbare Widersprüche, die besser von vornherein mit einbezogen werden, statt unaufhörlich an dieser Störung der Harmonie zu verzweifeln.
    In andersmoderner Zeit könnte die
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