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Dem Leben Sinn geben

Dem Leben Sinn geben

Titel: Dem Leben Sinn geben
Autoren: Wilhelm Schmid
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Älteren und Alten. Beim integrierten Wohnen in Mehrgenerationenhäusern finden alle Altersstufen wieder zusammen, die Initiative dafür geht oft von denen aus, die »anders älter werden« wollen. Sie tun sich zusammen mit Gleichaltrigen und mit jungen Paaren mit undohne Kinder, mit Alleinerziehenden und Alleinstehenden. Gemeinsam mieten sie ein Haus oder konzipieren und finanzieren selbst eine Wohnanlage mit Einzelwohnungen und Gemeinschaftsräumen. Alle können sich wechselseitig behilflich sein, Eltern können arbeiten gehen, während die Älteren die Kinder umsorgen. Kinder lieben die Ruhe und Gelassenheit der Älteren, in deren Umfeld sie sich wohlfühlen; viele ältere Menschen lieben es, Kinder heranwachsen zu sehen und wünschen sich fürs Älterwerden oft nichts sehnlicher, als in der gewohnten Umgebung bleiben zu können, in der sie Zuwendung und Zuneigung erfahren. Hier ist die Gefahr geringer, dass die Generationen kollidieren, wenn die Gebrechen des Alters sich einstellen und die Pflegebedürftigkeit wächst: Mehr Möglichkeiten zur Unterstützung und Entlastung können zur Verfügung stehen, während eine solche Situation in der Kleinfamilie so viel Stress verursachen kann, dass es zu wechselseitigen Vorwürfen und Wutausbrüchen, ja, zur Gewaltanwendung kommt. In Alters- und Pflegeheimen wiederum muss die Zuwendung und Zuneigung der Pflegenden, falls sie bei aller Anonymität und Funktionalität noch möglich ist, mit vielen Anderen geteilt und allzu oft entbehrt werden.
    Und noch auf andere Weise versuchen moderne Menschen die verlorene Großfamilie durch Gemeinschaften zu ersetzen, die größer als die Kleinfamilie sind: Mitarbeiter verstehen ihren Betrieb als Familie, wenn nicht Gleichgültigkeit, sondern Kollegialität und Loyalität die Arbeitsatmosphäre bestimmen. Viele Vereine bieten ihren Mitgliedern das Gefühl von familiärer Nähe und Zugehörigkeit. Planetenweit organisierte Clubs und Logen ermöglichen einen familienartigen Anschluss, egal, wo die Mitglieder sich gerade befinden. Im 21. Jahrhundert gibt die vielfache Neubildung von Tischgemeinschaften (»Dîneren blanc«) eine Antwort auf die zunehmende Vereinzelung. Für viele, die alleine leben wollen oder müssen, ist ein familienartiger Freundeskreis unverzichtbar. Hinzu kommen imaginäre Familien wie etwa der treue Hörerkreis eines Radiosenders, ferner die Communities der Facebook-User oder Wikipedia-Aktivisten, auch die Gaming-Communities , bei denen Menschen sich, in Gilden organisiert, im Internet begegnen; das existenzielle Einstehen füreinander ist dabei freilich ungleich schwächer ausgeprägt als im realen Familienleben.
    Ganz anders verhält sich dies bei althergebrachten Klostergemeinschaften , die seit langem eine Wahlverwandtschaft von Brüdern oder Schwestern verwirklichen, mit ausdrücklichem Vorrang vor der Herkunftsfamilie. Attraktiv an ihnen kann der klar strukturierte Rahmen sein, der dem Leben Halt gibt und nicht erst neu geschaffen werden muss. Mit dem frei gewählten Eintritt in den Orden gelten Regeln, denen jeder entnehmen kann, wie er leben soll, statt sich dies ständig selbst sagen zu müssen. Das Leben des Einzelnen wird ungemein bereichert von der Vielfalt menschlicher Erscheinungsformen, die im Kloster Platz hat. Alle gehören einer tief verwurzelten Geschichte an, niedergelegt in religiösen Schriften, überlieferten Sentenzen etwa der Wüstenväter und Regeln etwa des heiligen Benedikt: Ein Wohnen in der Weisheit von Jahrtausenden, inspiriert von einer Dimension unendlicher Weite, die als Gott bezeichnet wird. Negative Seiten des Menschseins wie Ärger, Neid, Eifersucht und Streit sind jedoch keineswegs ausgeschlossen, das Leben im Kloster ist mit ähnlichen Problemen konfrontiert wie das Leben »draußen« (Veronika Peters, Was in zwei Koffer passt. Klosterjahre , 2007).
    Eine futuristische Variante der Familie rückt näher, wenn der Fortbestand der Gesellschaft ernsthaft davon bedroht seinsollte, dass immer mehr Menschen sich den Mühen der Fortpflanzung und Erziehung entziehen, sodass die Reproduktion neu geordnet werden muss. Die Lebensform der Familie mit Kindern erlebt dann womöglich ein Revival in eigens dafür vorgesehenen Reservaten , in denen Freiwillige der Tätigkeit der Fortpflanzung nachgehen, teils noch traditionell, teils durch künstliche Befruchtung; zusätzlich übernehmen sie die unweigerlich folgende Arbeit der Erziehung. Einige Zeitgenossen erinnert das Ganze ungut an das
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