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Delikates zum Dessert

Delikates zum Dessert

Titel: Delikates zum Dessert
Autoren: Katinka Dietz
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eurasische Schönheit an seiner Seite vor.
    Melanie bringt keinen Ton heraus. Silke ist ein zartgliedriges Persönchen mit Mandelaugen und dunklen Zöpfen, die ihr bis zu den Hüften reichen. Sie trägt keinen Hauch Schminke im Gesicht. Sie lächelt, als gäbe es kein Unheil auf der Welt. Sie wiegt zwanzig Kilo. Ihre Nippel zeichnen sich durch ihr Shirt ab.
    Am ersten Werktag nach dieser Hochzeit wird Mel einen gemeinnützigen Verein gründen, dessen Satzung es vorsieht, schöne Menschen mit Konfektionsgröße 32 auszubürgern. Die beiden treiben es also miteinander!
    Mel wird übel. Sie wendet sich unter entschuldigenden Gesten ab und rennt aufs Klo, um sich zu übergeben. Beim Frischmachen im Waschraum durchlebt sie die nächste Schocksituation des Tages: Sie trifft ihr Spiegelbild. Unverblümt gibt ihr das Spieglein, Spieglein an der Wand seinen Eindruck wider. So, so. Du dachtest also, du wärst eine erneute Verlockung für deinen Ex? Ehrlich gesagt: Dein Busen wirft einen Schatten, der den gesamten fernen Osten verdunkeln könnte.
    Die Braut kommt. Sie strahlt und flattert wie ein Schmetterling von Gast zu Gast.
     
    Beim Sektempfang nach der Trauung steht Karstens Mutter plötzlich vor Melanie. Sie ist eingehüllt in einen unvorteilhaften Hosenanzug aus Trevira und eine Wolke Kölnischwasser. Frau Busse wechselt lächelnd ein paar Sätze mit Mel. Melanie soll erfahren, dass Karsten gerade mit seiner Morgensonne zusammengezogen ist. Ist da Schadenfreude in ihrer Stimme zu vernehmen? Der Vater sei aus Schanghai und die Mutter aus Castrop-Rauxel. Wie durch Watte hindurch hört Mel Wörter wie „vernarrt“, „Zukunft“ und „heiraten“.
    „Der Junge ist schon immer sensibel gewesen“, plappert Frau Busse, während Melanies Hand sich um den Sektkelch krampft. „Er braucht eine schöngeistige und zart fühlende Frau …“
    … und nicht so eine fette Spinatwachtel wie dich , vervollständigt Mel den Satz im Geiste. Sie spürt, wie der Parkettboden unter ihren Füßen wachsweich wird.
    „Sei froh, dass die alte Hexe nicht deine Schwiegermutter geworden ist“, flüstert ihr eine Freundin zu. Gleichzeitig drückt sie ihr ein volles Glas in die Hand, hakt sich bei ihr unter und zieht sie zu den alten Klassenkameraden hinüber.
    Nach diesem Gespräch sieht Mel überall die feindliche Besatzungszone: Die chinesische Truppe lauert im Hinterhalt, an jedem Ort postiert sich die asiatische Front. Wo Mel auch hinschaut, knabbert Karsten am asiatischen Öhrchen, blickt Miss Schanghai aus ihren Mandelaugen zu Karsten auf. Wie schön sie ist. Konfuzius hilf! Lehre mich Maß und Mitte , denkt Melanie und versucht, Contenance zu wahren. Irgendwie wird auch dieser Freitag vorübergehen.
     
    Samstag
    Es ist heiß. Die Hochzeitsgesellschaft hockt flüsternd in der Dorfkirche, fächelt sich Luft zu und wartet auf den Einzug der Braut. Die Kirche droht zu bersten. Hundertachtzig geladene Gäste. Mel sitzt im Kreise ihrer Lieben und hat sich wieder gefangen. Mama hat ihr gestern Abend zugehört, ihre Tränen getrocknet und sie wieder aufgebaut. Den Kopf in Muttis Schoß, wünschte Mel sich inständig, nie wieder nach draußen zu müssen.
    Heute sieht die Welt schon wesentlich besser aus. Mel trägt ein bodenlanges Trägerkleid und Riemchensandalen, beides blutrot. Noch vor ein paar Minuten auf dem Kirchplatz hat sie von allen Seiten Komplimente eingeheimst: Die bayerische Höhenluft scheine ihr ja ausgezeichnet zu bekommen, sie sei attraktiver denn je, wie erstaunlich sich die Deern von früher zurechtgewachsen hätte, welch sensationelle Kurven dieses Kleid zur Geltung brächte …
    Genau , dachte Mel, die dabei war, ihr Selbstbewusstsein zurückzugewinnen: Hierauf stehen Männer, nicht auf Kinderbrüste! Sie genoss ihren Auftritt und schritt mit der Grandezza einer Hollywooddiva zur Kirche.
    Innen lässt sie den Blick über die Holzbänke der Kapelle schweifen. Zielsicher macht sie ihren Ex und ihre Gegnerin aus. Er trägt den gut sitzenden Anzug von gestern und spielt wieder den Alleinunterhalter. Silke scheint sich zwischen all den Fremden etwas verloren zu fühlen. Ihre Haarpracht ist zu einer Hochsteckfrisur aufgetürmt. Zartes Make-up modelliert ihre Züge, als hätte sie heute Morgen nur Wasser und Auguste Rodin an ihr Gesicht gelassen. Sie trägt ein wildseidenes Wickelkleid, das schlicht geschnitten ist und die Farbe ihrer Augen widerspiegelt: dunkles Moosgrün. Sie sieht betörend aus. Als Silke spürt, dass
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