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Delfinarium: Roman (German Edition)

Delfinarium: Roman (German Edition)

Titel: Delfinarium: Roman (German Edition)
Autoren: Michael Weins
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Relativitätstheorie. Sie war bloß sieben Minuten weg, aber innerlich hat sich ihre Welt mehrfach um die eigene Achse gedreht. Vermutlich kennt sie niemanden mehr, seit sie aufgewacht ist, weil alle, die sie gekannt hat, mittlerweile gestorben sind, innerlich. Oder so.
     
    »Wollen wir den Rundgang machen?«, frage ich, bereit, den Hinweisschildern zu folgen. Ich nehme mir einen Plan von der Theke am Eingang und sauge Tierparkluft in meine Lungen. In der Ferne sehe ich Susanns weißen Rücken, den blauen Rock. Sie ist ohne mich losgegangen. Mir bleibt nichts anderes übrig, als hinter ihr herzuhetzen. Sie legt ein ziemliches Tempo vor.
    »Moment«, sage ich, als wir den Teich mit den Flamingos und den Pelikanen passieren.
    Sie dreht sich zu mir um, ihr Gesicht hat einen entschlossenen Ausdruck angenommen. Sie weiß, was sie will, das ist deutlich zu erkennen. Sie blickt mir nicht ins Gesicht, sie schaut über meine Schulter hinweg. Ihre Nasenflügel beben, kleine Schweißperlen haben sich auf ihrer großen, runden Stirn gebildet. Ich habe plötzlich Lust, diese Stirn zu küssen, wozu ich mich auf die Zehenspitzen stellen müsste. Ich mag sie, ich verstehe nicht warum, aber sie gefällt mir. Als Frau ist sie überhaupt nicht mein Typ, sie ist so groß und knochig. Sie ist so sonderbar, nicht nur ihr Verhalten, ihre ganze Physiognomie. Aber vielleicht ist es auch genau das, sie passt äußerlich irgendwie zu meinem Inneren. Oder andersherum. Sie marschiert los und ich bleibe verdattert zurück. Ein Dackel ohne Halsband läuft an mir vorbei, bleibt stehen, sieht sich nach mir um, setzt sich auf seine Pfoten und starrt mich an, so wie ich Susann hinterherstarre. Mein Blick wandert zum Marterpfahl hinüber, der neben dem Büffelgehege aufgestellt ist.
    Wir passieren die Hängebauchschweine. Wir passieren die Zebras, die Strauße und die Löwen. Wir passieren die Pinguine, die Robben und die Seelöwen. Wir passieren das Panzernashorn, die Elefanten und auch die Giraffen, ohne anzuhalten, ohne sie angemessen zu würdigen. Sie ist wahrlich kein Tierparkfan, sie interessiert sich ausschließlich für Delfine. Die Anwesenheit anderer Tiere scheint sie bloß zu stören. Der ganze Tierpark ist Firlefanz, ein Delfinarium mit Parkplatz hätte es auch getan.
    Vor dem Delfinarium setzt sie sich auf eine Bank. Nächste Vorstellung um 16 Uhr , steht auf dem Schild. Ich schaue auf die Uhr am Eingang, der große Zeiger ein Krokodil, der kleine ein Affe mit einem langen Schwanz, die sich gegenseitig jagen, das Krokodil hat noch einiges an Weg vor sich, bis es den Affen fressen kann, es ist erst kurz nach drei. Und ich hätte gern bei den Giraffen vorbeigeschaut.
    Ich umrunde das Delfinarium, einen schmucklosen, oktaedrischen Klotz mit Flachdach aus den sechziger oder siebziger Jahren. In den Fenstern hängen Plakate, die die Delfine in Aktion zeigen, auf einem Bild balanciert einer lächelnd einen rot-weißen Ball, auf einem anderen springt einer lächelnd durch einen Ring. Warum müssen diese Fische eigentlich immer lächeln? Ich weiß, dass es keine Fische sind, sondern Säuger, aber egal.
    Ich denke an die Giraffen und es ist, als wäre ein alter Schulfreund oder eine alte Liebe auf der Straße vorbeigegangen und ich hätte nicht Hallo gesagt, hätte die Straßenseite gewechselt und so getan, als würde ich sie nicht bemerken. Ich verstehe diese Frau nicht. Ich setze mich neben sie auf die Bank und denke an die lang bewimperten Augen der Giraffen. Würde man mich zwingen, ein Tier zu heiraten, wäre meine Braut ohne Frage eine Giraffe. Blöde Fische, denke ich.
    Dann muss ich grinsen, weil ich daran denke, wie Susann auf dem Beifahrersitz auf und ab gehüpft ist. Ich hatte meinen Spaß, als ich den Wagen über den Parkplatz rumpeln ließ. Ich habe jedes Schlagloch, jede ausgetrocknete Pfütze auf dem staubigen Parkplatz mitgenommen und bin in die letzte Ecke gefahren, weiter, als ich eigentlich musste. Ich habe Susann zugesehen, wie sie mit ihrer Handtasche auf dem Sitz auf und ab federte, ihre blonden Haare flogen, ich versuchte, es zu verstecken, aber ich musste grinsen, wie diese Komafrau in meinem Wagen hüpfte und mit dem Kopf fast an die Wagendecke stieß.
    Ein Elefant wird an uns vorbeigeführt, auf dessen Rücken eine Handvoll Kinder durch den Zoo schaukelt. Er zwinkert mir zu, der Elefant.
     
    Um zehn vor vier steht Susann unvermittelt auf und drängt zum Eingang. Ein kleiner Pulk von Omis, Müttern und Kindern hat sich
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