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Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Titel: Deine Lippen, so kalt (German Edition)
Autoren: Amy Garvey
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Oberteils in meinen geballten Fäusten, während ich den gigantischen Müllberg anstarrte, den wir über die Jahre angehäuft hatten.
    Ich hatte keine Ahnung, was ich tun würde. Was ich wollte, war ein Loch in den Himmel zu sprengen, einen Stern explodieren zu lassen, damit seine brennende Glut mich und alles andere versengte.
    Ich machte einen Satz, als die Hand meiner Mutter erneut auf meiner Schulter landete, fest und schwer. Sie umfing mit einer Hand meine Wange und reichte mir mit der anderen einen angeschlagenen Teller von einem Stapel im Regal. »Fang an«, sagte sie. »Es hilft genauso gut.«
    Ich starrte sie verständnislos an, in meinen Adern pulsierte das schmerzhafte Verlangen, die ganze Energie einfach rauszulassen. Aber das hatte sie nicht gemeint. Sie nahm noch etwas – eine Schüssel mit einem Sprung von einem grüngestreiften Service, das wir benutzt hatten, als ich noch sehr klein gewesen war – und schmetterte sie auf den stumpfen grauen Zementboden.
    Ich machte erneut einen Satz, als der Knall ein Echo in mir erzeugte, und ließ dann den Teller fallen, den ich in der Hand hielt. Er zersplitterte zwischen den Scherben der kaputten Schüssel, hellblaue Stücke, so scharf wie der Knall.
    »Fester«, sagte Mom und gab mir eine Tasse ohne Henkel. First National Savings Bank stand in gut lesbaren, leuchtend roten Buchstaben darauf. Ich schleuderte sie auf die nackte Stelle an der Wand neben dem Trockner, und sie zerschellte mit solcher Gewalt, dass einige Stücke über den Boden sprangen und zwischen unseren Füßen landeten.
    Innerhalb einer Viertelstunde gelang es uns, jedes ausrangierte Geschirrteil dort unten zu zerschlagen, bis der Boden aussah wie ein zerklüfteter Teppich aus zerschmetterter Keramik. Als nichts mehr zum Schmeißen da war, sank ich auf die Knie und begann zu weinen. Die Sorte gewaltiger, peinlicher Schluchzer, bei denen man um Luft ringt und nachher völlig verheult aussieht und am ganzen Körper zittert. Mom setzte sich neben mich, zog mich an sich, bis mein Gesicht gegen ihre Schulter gepresst war, und ich konnte nicht anders, als mich zu fragen, ob sie wohl auch so mit Dingen um sich geworfen hatte, als Dad sie verlassen hatte; ob sie sich auch so allein und hilflos gefühlt hatte.
    Danach fühlte ich mich besser. Nicht wie die Alte, nicht gut, aber ich war nicht mehr in so viele Emotionen verstrickt, dass ich die Fäden allein nicht hätte entwirren können.
    Das Ganze war eine Lektion gewesen, erkannte ich später. Aber ich lernte nichts daraus.
    »Woran denkst du gerade?«
    Es ist beinah elf, und Danny und ich liegen auf seinem Bett, die Beine unter einer alten Decke miteinander verschlungen. Ich musste warten, bis Mom schlief, um mich zurück zur Garage zu schleichen. Nachdem ich Danny die Wogen hatte glätten lassen, die der Zusammenprall mit Gabriel in mir aufgerührt hatte, war ich nicht lange bei ihm geblieben. Mom hätte sich gefragt, wieso ich noch nicht zu Hause war. Aber inzwischen liegt Mom im Bett, der Bildschirm des kleinen Fernsehers, der auf ihrer Kommode steht, flackert sanft in der Dunkelheit. Robin schnarcht in ihrem Zimmer, eine Hand im Fell ihres gestreiften Katers, Mr Purrfect, vergraben. Als ich durch den Türspalt in ihr Zimmer spähte, blinzelten seine gelben Augen mich in der Dunkelheit gleichermaßen kalt und desinteressiert an.
    Woran denkst du? Ich weiß nie, was ich antworten soll, wenn Danny solche Fragen stellt. An deine Beerdigung? An die Tatsache, dass Becker immer noch nicht wieder zur Schule geht, weil eins seiner Beine nicht richtig funktioniert und er sich sowieso die meiste Zeit mit Schmerzmitteln zudröhnt? An die Art, wie Ryan mich kaum noch ansehen kann? Daran, wie sehr ich es hasse, in der Stadt deiner Mom über den Weg zu laufen, und wie oft sie dann aussieht, als hätte sie gerade geweint?
    »Wren?« Es klingt ängstlich, beinah bettelnd. Hilflos. Seine Finger umschließen meinen Arm fester.
    »Französisch«, flüstere ich und streife mit den Lippen über die kalte Glätte seiner Wange. »Madame Hobart ist in letzter Zeit auf dem Kriegspfad. Und ich kacke immer noch beim Konjugieren des Plus-que-parfait ab.«
    »Ich hab dir ja gesagt, du sollst Spanisch nehmen«, meint er und klingt beinah wie der alte Danny, als er lacht. »Ich glaube, Mr Hill ist die meiste Zeit total stoned.«
    Darüber muss ich lächeln, denn er hat völlig recht. Mr Hill trägt manchmal tagelang dieselbe Krawatte, und er blinzelt wie eine verschreckte Eule,
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