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Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze

Titel: Dein Gesicht morgen / Fieber und Lanze
Autoren: Javier Marías
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und Euphemismen werden bekannt und bleiben; ohne daß man es merkt, bezieht man sich am Ende auf die Dinge oder die Menschen in stets gleicher Weise, und das wird leicht zu einem Namen. Und dann kann ihn keiner mehr aus der Welt schaffen und keiner mehr vergessen.« (›Und doch sind wir so viele, die wir selbst den eigenen Namen weglassen.‹)
    Dann verstummte Wheeler und schaute auf die Uhr, jetzt achtete er wirklich auf die Zeiger; danach wandte er den Blick zum Haus, Frau Berrys Klavier lieferte uns noch immer die Begleitung.
    »Möchten Sie, daß ich nachsehe, was das Mittagessen macht, Peter?« erbot ich mich. »Vielleicht sind wir spät dran. Es ist meine Schuld.«
    »Nein, das Stück ist gleich zu Ende, es fehlt nur noch ein sehr kurzes Menuett. Sie wird uns fünf vor Bescheid geben, jetzt ist es zwölf vor. Ich kenne es, dieses Stück.«
    Ich war versucht, ihn zu fragen, was es war, aber ich zog es vor, daß er mir etwas anderes beantwortete, später schwinden die Gelegenheiten:
    »Soll ich daraus schließen, Peter, daß die von Ihnen so genannte Gruppe noch immer aktiv ist und daß es Mr. Tupra ist, der sie jetzt führt?«
    »Wir werden gleich mehr darüber sprechen, ich möchte, daß du mir in dieser Sache einen Gefallen tust. Es wird auch für dich gut sein, glaube ich, ich habe mir bereits erlaubt, ihn anzurufen, Tupra, heute morgen, als du noch geschlafen hast, um ihm deinen unbestreitbaren Scharfsinn bei der Probe zu bestätigen, ich meine das mit ihm und Beryl. Ja, ich nehme an, daß man so sagen kann, obwohl sich alles so geändert hat, daß ich fast nichts mehr wiedererkenne. Heute läßt sich schwer behaupten, daß etwas das gleiche ist wie damals oder jemand es ist, in diesem Fall. Diese namenlosen Aufgaben oder Tätigkeiten haben sich sehr verändert, soweit ich Kenntnis davon habe, es sind andere Notwendigkeiten entstanden. Ich stelle mir vor, sie sind einem gewissen Verfall ausgesetzt, wie alles: es ist nur eine realistische Vermutung, ich sage das nicht, um irgend jemanden zu kritisieren oder zu beschuldigen. Aber ich weiß einfach nicht. Sieh mich an: Bin ich der gleiche wie damals? Kann ich zum Beispiel derjenige sein, der mit einer sehr jungen Frau verheiratet war, die das für immer geblieben ist und die mich nicht einen einzigen Tag in der langen Zeit meines Alterns begleitet hat? Steht diese Möglichkeit, diese Vorstellung, diese innerlich angenommene Wahrheit nicht in einem ganz unstimmigen Verhältnis zum Beispiel zu dem, der ich später gewesen bin? Oder zu den Dingen, die ich später getan habe, als sie nicht mehr Zeugin war? Zum Beispiel zu meinem jetzigen Aussehen? Eine sehr junge Frau, stell dir vor, wie kann ich da der gleiche sein?«
    Wheeler hob sich wieder eine Hand an die Stirn, aber dieses Mal war es keine plötzliche Erschöpfung oder ein Schrecken, seine Geste war nachdenklich, als hätten seine eigenen Fragen ihn in Verwunderung versetzt. Und dann versuchte ich, ihn dazu zu bringen, daß er mir eine weitere Frage beantwortete, obwohl es vielleicht absurd war, sie ihm in diesem Augenblick zu stellen, da es nur noch wenige Minuten bis zum Mittagessen mit Mrs. Berry waren. Wenn es ihm auch wahrscheinlich nichts ausgemacht hätte, mir in ihrer Gegenwart zu antworten, bestimmt kannte sie die Geschichte schon, für den Fall, daß er sich entschieden hätte, mir zu antworten.
    »Wie ist Ihre Frau gestorben, Peter? Ich habe es nie gewußt. Ich habe Sie nie gefragt. Sie haben es mir nie erzählt.«
    Wheeler nahm die Hand von der Stirn und schaute mich funkelnd an, nicht aus Überraschung oder Ärger, sondern mit Wachsamkeit im Blick.
    »Warum fragst du mich das jetzt«, sagte er.
    »Na ja«, antwortete ich lächelnd, »vielleicht damit Sie mir nicht eines Tages vorwerfen, wie gestern abend, als ich nach einer Ewigkeit erfahren habe, daß Sie in unserem Krieg gewesen sind, daß ich keine Neugier dafür gezeigt und Sie nie danach gefragt habe. Also tue ich es jetzt.«
    Wheeler unterdrückte ein Lächeln, er erstickte diese Versuchung auf der Stelle. Er hob die Hand zum Kinn und murmelte, wie Toby Rylands es zu tun pflegte:
    »Hmm«, das war der Laut. »Hmm«, das war der Laut von Oxford. Dann sagte er: »Bist du nicht vielleicht besorgt wegen Luisa und hast plötzlich das Schlimmste gedacht und dich in mir gespiegelt gesehen? Ist es so? Fürchtest du nicht vielleicht, eher Witwer als geschieden zu werden? Paß auf mit den Angstvorstellungen. Die Entfernung beschwört viele
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