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Defekt

Defekt

Titel: Defekt
Autoren: Patricia Cornwell
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Sicherheit.“
    „Besorgen Sie mir eine neue Zelle, die Fotos und
meine Post, und dann erzähle ich Ihnen mehr über den Christmas Shop“, sagt
Basil. Seine Augen sind inzwischen noch glasiger, und er rutscht unruhig auf
seinem Stuhl herum, ballt die Fäuste und wippt mit dem Fuß. „Ich habe eine
Belohnung verdient.“
    Lucy kann von ihrem Platz aus die Eingangstür im
Auge behalten und genau sehen, wer kommt und wer geht. Sie beobachtet die
Leute, ohne dass diese es ahnen, beobachtet und grübelt, obwohl sie sich doch
eigentlich erholen sollte.
    In den letzten Tagen ist sie jeden Abend ins
Lorraine's gekommen, um sich mit Buddy und Tonia, die dort hinter dem Tresen
arbeiten, zu unterhalten. Sie kennen Lucys wirklichen Namen nicht, erinnern sich
jedoch beide an Johnny Swift als ausgesprochen gut aussehenden Arzt. Ein Hetero-Neurologe, dem es in
Provincetown gut gefiel, aber eben leider hetero, sagt Buddy. Ein Jammer, fügt er
hinzu. Und immer
allein, außer bei seinem letzten Besuch, meint
Tonia. Sie hatte an besagtem Abend Dienst und erinnert sich, dass Johnny
geschiente Handgelenke hatte. Als sie sich danach erkundigte, hatte er geantwortet,
er sei kürzlich operiert worden und es habe Komplikationen gegeben.
    Johnny saß mit einer Frau am
Tresen, die beiden steckten die Köpfe zusammen und redeten, als wären sie
allein in der Bar. Sie hieß Jan und wirkte intelligent. Außerdem war sie
hübsch, hatte gute Manieren, war ziemlich schüchtern und kein bisschen
arrogant und noch ziemlich jung. Sie war ziemlich lässig angezogen und trug
Jeans und ein Sweatshirt, erinnert
sich Tonia. Offenbar
kannte Johnny sie noch nicht lange, vielleicht hatte er sie eben erst getroffen
und fand sie interessant. Er mochte sie eindeutig, sagt Tonia.
    Stand er auf siel, wollte Lucy von Tonia wissen.
    Diesen Eindruck hatte ich nicht.
Es war eher als ... na ja ... als hätte sie irgendein Problem und bäte ihn um
Hilfe. Schließlich war er ja Arzt.
    Das wundert Lucy nicht. Johnny war ein
uneigennütziger Mensch und ausgesprochen hilfsbereit.
    Nun sitzt sie im Lorraine's am Tresen und denkt an
Johnny, der genauso hier hereinspaziert ist wie sie heute und der sich an
diesen Tresen gesetzt hat. Vielleicht sogar auf denselben Barhocker. Sie
stellt sich ihn zusammen mit Jan vor, einer Frau, der er möglicherweise gerade
erst begegnet war. Es war nicht seine Art, Frauen in Bars anzusprechen und
flüchtige Beziehungen einzugehen, und er hielt nicht viel von Affären für eine
Nacht. Also wollte er dieser Jan vielleicht wirklich nur helfen und sie
beraten. Aber worum ging es bei dem Gespräch? Ein gesundheitliches Problem?
Etwas Psychologisches? Diese schüchterne junge Frau namens Jan bereitet Lucy
Kopfzerbrechen.
    Es könnte auch sein, dass Johnny selbst Probleme
hatte. Möglicherweise war die Karpaltunnel-OP nicht so erfolgreich gewesen, wie
er gehofft hatte. Und so hörte er sich die Sorgen einer schüchternen, hübschen
jungen Frau an, um sich von seinen eigenen Sorgen abzulenken und den guten
Samariter zu spielen. Lucy trinkt einen Schluck Tequila und erinnert sich an
seine Worte bei ihrer letzten Begegnung im September in San Francisco.
    Die Biologie ist grausam, sagte er. Körperliche Einschränkungen sind gnadenlos. Niemand will
dich mehr, wenn du zernarbt, verkrüppelt, nutzlos und verstümmelt bist.
    Mein Gott, Johnny, es ist doch
nur eine Karpaltunnel-OP, keine Amputation.
    Entschuldige, erwiderte er. Wir sind ja nicht hier, um über mich zu reden.
    Sie denkt an ihn, als sie im Lorraine's am Tresen
sitzt und beobachtet, wie die Leute, meist Männer, das Restaurant betreten und
es wieder verlassen. Immer, wenn sich die Tür öffnet, weht Schnee herein.
     
    5
     
    In Boston hat es zu schneien angefangen, als Benton
in seinem Porsche Turbo S an den viktorianischen Backsteingebäuden der
Universitätsklinik vorbeifährt. Er denkt an die Zeit, als Scarpetta die
Angewohnheit hatte, ihn spätnachts in die Leichenhalle zu zitieren, für ihn
stets ein klarer Hinweis darauf, dass er es mit einem schweren Fall zu tun
kriegen würde.
    Die meisten forensischen Psychologen haben noch nie
einen Fuß in eine Leichenhalle gesetzt. Sie haben keiner Autopsie beigewohnt
und vermeiden es sogar, sich die einschlägigen Fotos anzusehen. Die
Persönlichkeit des Mörders interessiert sie viel mehr als das, was er seinen
Opfern zugefügt hat, denn der Täter ist der Patient, während der Tote nichts
weiter ist als das Medium, durch das er seine
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