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Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer

Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer

Titel: Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
Autoren: Scotty
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keinen Vorwurf, im Endeffekt trug ich genauso viel Schuld wie sie.
    Obwohl ich mein ganzes Leben im und am Wasser verbracht hatte - mein Elternhaus lag keine hundert Meter vom Ozean entfernt -, gab es bei uns eine eiserne Regel. Ich durfte unter keinen Umständen allein ins Wasser, durfte nicht einmal daran denken. Der Pazifik sei grausam in all seiner Schönheit, trichterte mir mein Vater immer wieder ein. Grausam und absolut selbstsüchtig.
    Bis zu jener Oktobernacht hatte ich ihm immer gehorcht und nie daran gedacht, mich ihm zu widersetzen. Doch in dieser Nacht rief etwas nach mir. Es war die reinste Qual, im Haus zu bleiben. Und trocken zu bleiben, war noch schlimmer. Ich musste die Kraft und die Leidenschaft des Wassers spüren, das schon damals so sehr ein Teil von mir war.
    Ich hatte nicht vor, weit ins Wasser zu gehen, ich hoffte, das heimtückische Flüstern, diese verrückte Stimme in meinem Kopf würde verstummen, wenn ich bis zu den Knien hineinwatete. Doch das tat sie nicht und kurz darauf stand ich bis zu den Schulterblättern im Wasser. Es war relativ warm, obwohl es schon Herbst war, aber ich weiß noch, dass ich fror.
    So sehr, dass meine Zähnen klapperten.
    So sehr, dass ich zitterte, bis meine Knochen aneinanderschlugen.
    Ich erinnere mich daran, weil es merkwürdig war. Bis zu dieser Nacht hatte mich das Wasser immer gewärmt.
    Trotzdem blieb ich und kehrte nicht ins Haus zurück, wie jeder normale Mensch es getan hätte. Ich konnte es einfach nicht. Damals wusste ich nicht, auf was ich wartete. Ich wusste nur, dass ich einen innerlichen Zwang verspürte, der es mir unmöglich machte, mich zu bewegen. Einen Zwang, der mich als schön verpacktes Menschenopfer an Ort und Stelle hielt, während das Wasser um mich herumschwappte und -wirbelte.
    Merkwürdigerweise empfand ich weder Angst noch Aufregung oder was immer man bei einer Zehnjährigen in dieser Situation vermutet hätte. Es war seltsam, aber ich war ... wie betäubt. Als wüsste ich im Grunde, was ich zu tun hatte, aber der Gedanke - und die damit verbundene Sicherheit - waren für mich unerreichbar.
    Als das Flüstern in meinem Kopf zu einem Schrei geworden war und mein Körper von einem Energieschub erbebte, der so mächtig war, dass er mein Inneres erglühen ließ, bis ich das Gefühl hatte, zu leuchten, sah ich sie. Sie war dunkel und von seltsamer Schönheit und sie schwamm wie eine Wassernixe - wie meine Mutter. Ihr Körper schnitt durch das Wasser wie ein Skalpell durch Fleisch.
    Sie umkreiste mich wie ein Raubfisch und ihr Körper glitt mit jedem Zug näher heran. Ich versuchte den Blick abzuwenden, mich in flacheres Wasser zurückzuziehen, doch ich konnte mich nicht bewegen. Obwohl ich sie heute nicht mehr in allen Einzelheiten beschreiben könnte, wirkte sie ganz und gar hypnotisierend und ich war wie gebannt.
    Um mich herum peitschte und wogte der Ozean. Eine Wand aus Wasser türmte sich vor mir auf, höher als das zweistöckige Haus, das wir gemietet hatten, ja sogar höher als die Klippen, die unsere abgelegene kleine Bucht umgaben. Höher als jede Welle, die ich je gesehen hatte.
    Der Wind nahm zu und die Welle begann mich ebenso zu umkreisen wie sie, ein Zyklon aus Wind und Wasser, Kraft und Druck, mit mir in seinem Auge. Und dann war sie bei mir, ihre Stimme ein Zischen in meinem Ohr, ihre Finger lange, durchsichtige Klauen, die sich in meinen Badeanzug und meine Seele krallten.
    »Gib dich dem Wasser hin«, hallte es in mir wider. »Gib dich mir hin. Ergreife die Macht.«
    Ein Teil von mir war immer noch klar genug, um zu verstehen, dass es gefährlich war, dass sie gefährlich war. Doch ich konnte nicht darauf hören, vermochte es kaum wahrzunehmen, wo doch mein ganzer Körper sich nach dem sehnte, was sie mir anbot.
    In diesen Sekunden konnte ich die Kraft in mir spüren, fühlte sie in mir aufsteigen, bis ihre Stärke mich ganz und gar erfüllte und sie alles war, was ich begehrte.
    Das Zittern verebbte und zurück blieb eine Hitze, eine Entschlossenheit, die so stark war, dass sie alles andere überdeckte.
    Ich war dafür bestimmt. War für sie bestimmt. Zusammen konnten wir Unvorstellbares vollbringen. Ich streckte die Hand nach ihr aus ...
    »Tempest! Tempest, nicht!«, ertönte die Stimme meiner Mutter von jenseits des Orkans aus Wasser, doch sie war so schwach, dass ich sie niemals gehört hätte, wenn sie nicht tief in meinem Innern verankert wäre.
    »Tempest!« Das war der wilde Schrei meines Vaters.
    »Komm mit
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