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Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer

Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer

Titel: Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
Autoren: Scotty
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nahm ihn heraus und legte ihn ungelesen aufs Bett. Dafür war später noch Zeit genug.
    Viel mehr war nicht in dem Kästchen, nur der Verlobungs und der Ehering meiner Mutter, ein Bild vom Meer, das ich für sie gemalt hatte, als ich sieben oder acht war, und ein Foto von uns allen zusammen. Meine Mutter saß da und hatte Moku auf dem Schoß, während Rio und ich rechts und links neben ihr standen. Mein Vater stand hinter uns, hatte ihr die Hände auf die Schultern gelegt und ein breites Grinsen im Gesicht.
    Ich sah mir das Bild lange an. Ich hatte es noch nie gesehen und war fassungslos darüber, wie glücklich wir aussahen, wie sehr wir wie eine Familie wirkten. Dann drehte ich es um und las erschüttert das Datum. Es war unmöglich, sich vorzustellen, dass meine Mutter uns nicht einmal ein Jahr, nachdem diese Aufnahme gemacht wurde, verlassen würde.
    Ich wollte sie verachten, wollte den Zorn nicht versiegen lassen, der in mir brannte, aber sie auf diesem Foto zu sehen, so jung, so lebenssprühend, so offensichtlich verliebt in ihren Ehemann und ihre Kinder, machte es mir schwer, ihr weiter böse zu sein. Ich wusste nicht, warum sie sich vor all den Jahren entschieden hatte zu gehen, und würde es vermutlich nie erfahren. Aber mein Leben damit zu vergeuden, sie zu hassen und auf keinen Fall so werden zu wollen wie sie, tat mir nicht gut.
    Zusammen mit den Ringen und meiner Zeichnung legte ich das Foto wieder in das Kästchen, klappte den Deckel zu und stellte es auf meine Kommode neben seinen Zwilling, jenes Kästchen, das ich besaß, seit ich denken konnte.
    Den Brief behielt ich.
    Ich fürchtete mich, ihn zu öffnen, hatte schreckliche Angst, die letzten Worte meiner Mutter zu lesen. Würden sie ausreichen, um die Fragen zu beantworten, die mir so schwer auf der Seele lagen, oder würden sie doch nur neue aufwerfen? Ich wollte nicht ohne Antworten durchs Leben gehen, ständig zurückschauen und mich fragen, wie es hätte sein können.
    Lange Zeit war ich unentschlossen, ob ich den Brief öffnen sollte oder nicht, bis ich schließlich nach meinem Kapuzenpulli griff und ihn überzog. Ich schob den Umschlag und Konas Stein in die Tasche und sprang, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinab.
    »Wo willst du hin?«, fragte Dad. Er hatte die Couch verlassen und saß jetzt mit seinem Notebook am Esszimmertisch, während sich meine Brüder im Nebenzimmer mit Videospielen vergnügten.
    »Ich gehe eine Weile an den Strand.«
    »Draußen ist es Nacht, Tempest. Und kalt. Meinst du nicht, es wäre besser, drinnen zu bleiben?«
    Ich wusste, was er eigentlich sagen wollte und dass seine Fragen mehr beinhalteten, als er mit Worten ausdrückte. Ich wollte ihm versichern, dass er sich keine Sorgen machen musste, aber ich war mir nicht sicher, ob das stimmte. Wenn die Zeit unter Wasser mich eines gelehrt hatte, dann, dass es keine Sicherheiten gab. Außerdem zerrte etwas an mir und drängte mich zur Eile. Mein Körper begann bereits zu erwachen, er sehnte sich nach dem süßen Kuss des Wassers auf meiner viel zu kalten Haut.
    Ich trat neben ihn und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Ich liebe dich, Daddy.«
    »Ich liebe dich auch.« Er drückte meine Hand und wandte sich dann wieder seinem Computer zu. »Bleib nicht zu lange draußen. Ich weiß nicht, wie sicher es ist.«
    Fast hätte ich gelacht. Ich hatte so vielem die Stirn bieten müssen, dass es kaum noch etwas gab, vor dem ich mich fürchtete.
    Dann schlüpfte ich aus der Tür und rannte zum Strand, meine Haare und meine Ängste umwehten mich wie eine lange vergessene Erinnerung. Sobald ich auf Sandboden stand, riss ich den Brief aus der Tasche und stellte mich unter die große gelbe Straßenlaterne, die Seezeichen und Lampe zugleich war. Das Papier war älter, als ich angenommen hatte, und sehr empfindlich, daher nahm ich mich in Acht, als ich zu lesen begann.
    Liebste Tempest,
    ich wünschte, ich hätte eine Entschuldigung. Ich würde Dir gern einen ganz bestimmten Grund nennen und sagen können, dass es an ihm lag. Ich weiß, dass Du immer noch danach suchst, selbst nach all den Jahren. Etwas, das Dir erklärt, warum es so gekommen ist, und das Du verantwortlich machen kannst.
    Dabei kennst Du ihn schon die ganze Zeit. Gib mir die Schuld. Niemand hat mich gezwungen, vor sechs Jahren ins Meer zu gehen, und niemand hat mich gezwungen, dort zu bleiben. Es war eine Entscheidung, so wie das, was Du jetzt tust, eine Entscheidung ist.
    Ich sitze hier und schreibe
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