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Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Titel: Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Autoren: Renegald Gruwe
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abgelichtete Zeichnung des Malers, und mit einem Seufzer gedachte sie der Vergangenheit. »Die Jugend ist doch das höchste Gut.«
    Garoche machte ihr ein ernst gemeintes Kompliment und betrachtete anerkennend die weiteren Darstellungen. Bilder und Modefotografien mit Fräulein Leville vor dem Hintergrund der Budapester Altstadt.
    Ohne von der Arbeitsmappe aufzusehen, fragte Garoche: »Sie wollen das Land verlassen, Fräulein Leville?«
    »Nennen Sie mich Barbara.«
    »Gerne.«
    Sie zögerte einen Augenblick mit der Beantwortung, doch nach einem tiefen Seufzer gab sie sich einen Ruck: »Ich kann hier nicht mehr leben.« Auf diese doch recht kryptische Antwort und die entsprechende Bemerkung des Malers folgte eine noch mysteriösere Begründung: »Ich darf hier nicht mehr leben. Verzeihen Sie, aber ich möchte im Moment nicht weiter darauf eingehen«, beendete Fräulein Leville die Unterhaltung, und mit einem Hinweis auf die Uhrzeit und die bevorstehende Abfahrt des Zuges prophezeite sie Garoche: »Sie werden es bald verstehen, wenn Sie erst einige Zeit in Deutschland zugebracht haben.«
    Der Künstler begnügte sich mit der Erklärung, zahlte die Rechnung und war beim Tragen des schweren Koffers und der Reisetasche zum Bahnhof behilflich. Er selbst hatte seinen alten abgewetzten Koffer bei der Gepäckaufbewahrung abgegeben, sodass Fräulein Leville stutzte. »Sie reisen aber nicht mit großem Gepäck, wie ich sehe; ich dachte, Sie hätten die Absicht, länger in Berlin zu bleiben?«
    »Das meiste lasse ich mir nachschicken, auch das Malzeug und einige Bilder, die passen einfach nicht in einen Schrankkoffer.« Der Maler schulterte die Tasche des Fräuleins und drehte sich noch einmal um, bevor er durch das Gartentor vorausging, über dem die Hakenkreuz-Fahne wehte. »Aber genau das hat mich der Zollbeamte an der deutschen Grenze auch gefragt.«
    Fräulein Leville machte ein nachdenkliches Gesicht. »Sehen Sie, das wird man gefragt, wenn man in dieses Land einreist. Wenn man ausreist, machen sich die Beamten Gedanken, ob man nicht zu viel Gepäck hat und vielleicht nicht wiederkommt. Außer man ist …« Das Pfeifen einer Lokomotive vom Bahnhof unterbrach sie jäh.

    Auf dem Bahnhof, wo Barbara Leville noch einmal vor der Fahrt die Toilette aufsuchen musste, blieb Garoche vor einem Plakat stehen, das an einem großen schwarzen Brett angeschlagen war. Es lud zum Besuch der Olympischen Spiele nach Berlin ein. Zentral waren der Kopf und ein Teil des Oberkörpers eines Sportlers in leuchtendem Goldgelb abgebildet. Der erhobene Arm zum Gruß war lediglich in den gespannten Muskeln der Armbeuge angedeutet. Auf dem Kopf des athletischen Kämpfers prunkten der Lorbeerkranz und dahinter, einem Heiligenschein gleich, die fünf Olympischen Ringe. Die untere Hälfte des ganz im gegenwärtigen deutschen Geschmack gemalten Bildes füllte schemenhaft das Brandenburger Tor mit der Quadriga aus. In einer düsteren Vorahnung des auf ihn zukommenden Kunstverständnisses der Hauptstadt raunte er leise: »Berlin, ich komme!«

Kapitel 3
    Als der Zug über die Hochbahntrasse durch Berlin-Charlottenburg fuhr, erinnerte sich Garoche wieder an die einsame Hakenkreuzfahne über der Gartenwirtschaft in Säckingen. Hier, in der Hauptstadt des viel beschworenen Dritten Reiches, hatten sich die Fahnen verhundert-, vertausend-, verzehntausendfacht. Ein Meer aus schwarzen Kreuzen in weißen Kreisen auf rotem Grund hatte die Stadt eingefärbt. Vereinzelt wehten auch Fahnen mit dem Symbol der Olympischen Spiele. In ihrer Farbigkeit stachen die fünf Ringe aus dem Einheitsrot heraus.
    Garoche wunderte es, dass die Menschen angesichts der immensen nationalen Begeisterung nicht gleich mit kleinen Fähnchen auf den Bahnsteigen standen und die Ankömmlinge begrüßten. Nach dem vollmundigen Artikel im ›Angriff‹ hatte er erwartet, vor allem freundliche, liebenswürdige Menschen zu sehen. Aber auf dem S-Bahnsteig Savignyplatz, an dem der Zug schon in verlangsamter Fahrt vorüberfuhr, konnte Garoche nur starre, geistesabwesend dreinblickende Gesichter ausmachen.
    Fräulein Leville, die gerade aus einem kurzen Schlummer erwacht war und die Szene ebenfalls beobachtete hatte, zuckte auf die etwas naive Bemerkung Garoches hinsichtlich des ›Ansturm‹-Artikels nur mit den Schultern und erwiderte: »Denken Sie, in Paris, Rom oder New York laufen die Menschen nur fröhlich durch die Stadt?«
    Am Fernbahnhof Zoologischer Garten stieg Garoche aus und verlor
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