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Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)

Titel: Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Autoren: Renegald Gruwe
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Fräulein Leville prompt im Gedränge und Geschiebe der Menschenmassen aus den Augen. Ein wendiger Gepäckträger hatte sich rasch eine Gasse durch die vielen Reisenden gebahnt, und während das Fräulein mit wehendem Mantel und den Hut festhaltend dem Mann und ihrer Habe folgte, schloss sich sofort hinter ihr die Menge wieder.
    »Wie das Meer, das sich hinter Moses und seinem Volk schloss und die Verfolger elend ertrinken ließ«, schoss es dem Maler durch den Kopf, und er versuchte, dem Menschenmeer auf Bahnsteig B zu trotzen. Endlich hatte er sich aus dem Gedränge gelöst und nun stand er auf dem Vorplatz des Bahnhofs. Dort holte Garoche erst einmal tief Luft, und wie der Name des Fernbahnhofs vermuten ließ, sog er den Duft der Elefanten aus dem Tierpark gegenüber ein.
    Nun war das Fräulein Leville in dieser quirligen Millionenmetropole verschwunden, ohne dass sie sich verabschiedet hatten. Zum Glück hatten sie vorsorglich eine Verabredung für den nächsten Freitag getroffen. Außerdem hatte Garoche dem Fräulein die Adresse seines Freundes Eduard Defries mitgeteilt. Der Maler hörte den Freund jetzt schon schimpfen, dass er gleich am ersten Wochenende ihres Wiedersehens außer Haus ging, und mit einem Lächeln auf den Lippen ließ er sich im Geiste die ›ständigen Weibsgeschichten‹ von ihm vorhalten.
    Doch jetzt hieß es auf dem Weg zu ihm erst einmal wieder zurück in das Gedränge der Reisenden und fliegenden Händler. Ein großes blaues U wies ihm schließlich den Weg hinunter in den Untergrund. Hier drängelten die Fahrgäste, in schicke Abendgarderobe gekleidet, nicht minder, und um ein Haar wäre er mit den ersten Besuchern an der Station des Deutschen Opernhauses in die abendliche Aufführung hineingezogen worden.
    Ein paar Stationen später hatte er sein Ziel erreicht. Garoche stellte seinen alten Koffer neben sich auf das Pflaster und sah an einem der imposanten Gebäude des Kaiserdamms hinauf. Große Fenster zeugten von weiträumigen Wohnungen. Dem Freund musste es offensichtlich gut gehen.
    Vom U-Bahnhof Adolf-Hitler-Platz war er die etwas abschüssige, kurze Strecke, dann den breiten Damm hinunter bis zu dem vierstöckigen Haus gelaufen. In einigen Kilometern konnte er die Siegessäule auf der neu angelegten, aber noch nicht fertigen Nord-Süd-Achse erkennen. Und noch weiter in der Ferne strahlte das Rote Rathaus mit frisch geputzter Fassade aus Klinkersteinen.
    Am ›Stillen Portier‹ wurde neben einer Zahnarztpraxis und der Pension Weide auch auf eine Agentur für darstellende Kunst aufmerksam gemacht.
    ›Eduard Defries‹ konnte Garoche neben dem Hinweis auf den vierten Stock lesen. Im Hochparterre setzte ein Fahrstuhl ein. Der Maler ignorierte diese Aufmerksamkeit und stieg die Treppen zu Fuß. Er wollte sich ein Bild von der Gesellschaft machen, in der er die nächsten Monate verbringen würde.
    Die Pension Weide lag gleich im Hochparterre rechts. Gegenüber hatte der Zahnarzt Wandmann sein Domizil. Garoche tastete vorsichtig mit der Zunge seinen linken, hinteren Backenzahn ab. Vielleicht sollte er gleich läuten und einen Termin vereinbaren. Den Finger bereits auf dem Knopf, besann er sich und entschied, erst bei seinem Freund vorzusprechen. Den Doktor konnte er jederzeit aufsuchen. Langsam stieg er weiter über die Stufen hinauf, die mit rot eingefärbten Kokosläufern ausgelegt waren und so die Schritte angenehm dämmten.
    In der dritten Etage wohnten eine Familie Schröder und eine ältere Dame, die Garoche, als sie sich zufällig auf der Treppe trafen, einen misstrauischen Blick zuwarf.

    »Vielleicht hat sie mich ja für einen Bettler oder Dieb gehalten, der ihr das teure Tafelsilber stehlen will«, ärgerte sich der Maler.
    »Mach dir nichts daraus«, grinste der Freund später, »sie ist zu jedermann gleich unfreundlich. Sie kennt da keine Klassenunterschiede.«

    Die Kinder der Familie Schröder grüßten ihn laut mit »Heil Hitler« im Treppenhaus. Der Junge, Peter, trug die Uniform der Hitlerjugend. Herr Schröder war Lehrer von Beruf und seine Ehefrau, Irmgard, litt unter Migräne. Aus diesem Grund erschien ihr Mann, Walter, des Öfteren bei Garoche und bat, ob der ›Herr Sänger‹, gemeint war Enrico Caruso, seine Kunst nicht vielleicht in etwas leiseren Tönen präsentieren könne. Und, wenn möglich, bei geschlossenem Fenster, da es im Hinterhof so hellhörig sei. Letzteres war nun ein etwas schwer zu erfüllender Wunsch, da es in Garoches Atelierraum recht stark nach
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