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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
Autoren: Deborah Crombie
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kannte ich niemanden gut genug, um vorgestellt zu werden. Und eine zweite Chance bekam ich nicht.« Vic zuckte die Schultern. »Klingt vielleicht komisch, aber ich habe mich schon damals zu ihr hingezogen gefühlt, spontan eine Verbindung zwischen uns gespürt, die alte Geschichte.« Sie wurde ernst. »Und als ich gehört habe, daß sie gestorben ist, war ich am Boden zerstört, als hätte ich einen mir nahestehenden Menschen verloren.«
      Kincaid zog eine Augenbraue hoch und wartete ab.
      »Den Blick kenne ich.« Vic zog eine Grimasse. »Jetzt fragst du dich, ob ich nicht doch eine Meise habe. Aber dieses Gefühl der Seelenverwandtschaft mit Lydia ist vermutlich der Grund, weshalb mir ihr Tod so merkwürdig vorkommt.«
      »Es war doch Selbstmord? Das stand doch nicht außer Frage?«
      »Die Polizei ist davon überzeugt.« Vic starrte aus dem Fenster und auf den Himmel voller tiefhängender dunkler Wolken. »Wie soll ich es erklären? Lydia hat sich angeblich mitten in einer ihrer produktivsten Schaffensperioden umgebracht. Und zwar aufgrund von Depressionen, an denen sie Zeit ihres erwachsenen Lebens gelitten hatte. Ich finde, da stimmt einfach was nicht.«
      Kincaid mußte unwillkürlich an die vielen Stunden denken, die er mit ähnlichen Theorien zu Beginn seiner Ehe mit Vic verbracht hatte, und wie absolut desinteressiert sie an seinen Fällen gewesen war. Mittlerweile hatte er Verständnis für ihr Verhalten von damals. Er war neu im Morddezernat und vermutlich in seiner Faszination für das Ungewohnte für jeden Zuhörer eine Zumutung gewesen. »Und weshalb?« fragte er vorsichtig.
      Vic stellte die Füße auf den Boden und beugte sich vor. »Beide früheren Selbstmordversuche sind während lange anhaltender Phasen von Schreibblockade passiert. Ich glaube, Lydia war nur wirklich glücklich, wenn sie dichtete. Fielen persönliche Probleme mit einer unkreativen Schaffensperiode zusammen, kam sie mit nichts und niemandem mehr klar. So war es zum Beispiel auch nach dem Scheitern ihrer Ehe. Später allerdings, mit fortgeschrittenem Alter, war sie sich selbst genug. Sie lebte ganz zufrieden allein. Falls sie in den letzten zehn Jahren ihres Lebens eine ernsthafte Beziehung gehabt hat, habe ich dafür keinerlei Hinweise gefunden.«
      »Hatte sie denn vor ihrem Tod eine solche unproduktive Phase?« Kincaids Interesse war geweckt.
      »Nein.« Vic stellte ihre Tasse auf den Tisch. »Das ist es ja, verstehst du? Als sie starb, hatte sie am Manuskript für ein neues Buch gearbeitet - das beste, das sie je geschrieben hat. Die Gedichte haben Tiefe und Lebendigkeit, es ist, als habe sie für sich plötzlich eine neue, ultimative Dimension ihrer Kunst entdeckt.«
      »Vielleicht war das der Auslöser«, gab Kincaid zu bedenken. »Sie hat keine weiteren Entwicklungsmöglichkeiten mehr gesehen.«
      Vic schüttelte den Kopf. »Das war auch mein erster Gedanke. Aber je besser ich sie kennenlerne, desto unwahrscheinlicher wird das. Ich glaube vielmehr, sie hatte endlich ihre Stilebene gefunden. Sie hätte noch so viel schreiben, uns noch so viel geben können ...«
      »Vic.« Kincaid beugte sich vor und berührte ihre Hand. »Was in einem anderen Menschen vorgeht, weiß man nie mit letzter Sicherheit. Es passiert häufiger, daß Leute morgens aufwachen und beschließen, genug vom Leben zu haben, ohne eine Erklärung zu hinterlassen. Vielleicht trifft das auch auf Lydia zu.«
      Sie schüttelte energisch den Kopf. »Das ist ja noch nicht alles. Lydia starb an einer Überdosis ihres Herzmedikaments. Ist es nicht normalerweise so, daß Selbstmörder ihrer Methode treu bleiben? Nur zu noch drastischeren Methoden greifen, wenn sie keinen Erfolg haben?«
      »Gelegentlich sicher. Aber das trifft nicht auf alle zu.«
      »Das erste Mal hat sie sich im Bad die Pulsadern aufgeschnitten - nur weil ein Freund sie unverhofft besucht hat, konnte sie gerettet werden. Das zweite Mal ist sie mit dem Auto gegen einen Baum gerast. Sie ist mit einer schweren Gehirnerschütterung davongekommen. Später hat sie behauptet, ihr Fuß sei vom Bremspedal gerutscht. Verstehst du?«
      »Du meinst, beim dritten Versuch hätte sie eine noch drastischere Methode wählen müssen?« Kincaid zuckte die Achseln. »Möglich. Worauf willst du hinaus?«
      Vic wandte den Blick ab. »Ich bin nicht sicher. Bei Tag klingt es so absurd ...«
      »Raus damit!«
      »Was, wenn Lydia sich gar nicht umgebracht hat? In Anbetracht
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