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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
Autoren: Deborah Crombie
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schüttelte sich. Was zum Teufel war gerade mit ihr geschehen? Verdammt, sie schrieb eine Biographie, keinen Roman, und sie hatte nie dergleichen selbst erlebt, geschweige denn darüber geschrieben. Trotzdem hatte sie zu spüren geglaubt, wie das Wasser über ihre Haut schwappte, hatte die Magie des Schreckens gefühlt, die vom Rasiermesser ausging.
      Sie erschauderte. Natürlich war das alles Unsinn. Die ganze Passage mußte gestrichen werden. Sie strotzte vor Spekulationen und Mutmaßungen. Objektivitätsverlust war für eine Biographie fatal. Hastig markierte sie den Text auf ihrem Bildschirm und zögerte mit dem Finger über der Löschtaste ... Vielleicht trat unter dem entlarvenden Licht des Morgens doch noch etwas Brauchbares zutage. Sie rieb sich die brennenden Augen, versuchte den Blick auf die Uhr über ihrem Schreibtisch zu konzentrieren. Beinahe Mitternacht. Die Zentralheizung ihres zugigen Cottages in Cambridgeshire hatte sich schon vor einer Stunde ausgeschaltet, und sie merkte plötzlich, daß sie fror. Sie bewegte die steifen Finger, sah sich um und suchte Trost in der Vertrautheit ihrer Umgebung.
      Das kleine Zimmer quoll über von dem Treibgut, das von Lydia Brookes Leben zurückgeblieben war. Und Vic, von Natur aus ordentlich, fühlte sich gelegentlich machtlos angesichts der Flut von Papieren, Briefen, Journalen, Fotografien, Manuskriptfragmenten und ihren eigenen Karteikarten. All das schien sich jeder Ordnung zu widersetzen. Eine Biographie war zwangsläufig ein Abenteuer. Dabei war ihr Lydia Brooke als die ideale Persönlichkeit für eine Biographie vorgekommen, und das Thema schien perfekt dazu angetan, Vics Position an der Englischen Fakultät zu festigen. Die Lyrikerin Brooke mit dem chaotischen Privatleben, geprägt von komplizierten Beziehungen und etlichen Selbstmordversuchen, hatte die Episode in der Badewanne in den späten sechziger Jahren gut zwei Jahrzehnte überlebt. Dann, nachdem sie die Arbeit an ihrer besten Gedichtsammlung beendet hatte, war sie völlig überraschend an einer Überdosis ihres Herzmedikaments gestorben.
      Der Tatsache, daß Lydia Brookes Tod nur fünf Jahre zurücklag, verdankte Vic den Umstand, daß sie Kontakt zu Lydias Freunden und Kollegen aufnehmen und sämtliche erhaltene Manuskripte und Unterlagen einsehen konnte. Womit sie allerdings nicht gerechnet hatte, war, daß im Laufe ihrer Arbeit Lydia Brooke zu neuem Leben erwachen würde. Sie hatte Lydias Haus besucht - das Morgan Ashby, ihr Ex-Mann, geerbt und an einen Arzt mit Frau und vier kleinen Kindern vermietet hatte. Trotz Legosteinen und Schaukelpferden atmete es für Vic noch immer jene Atmosphäre, die sie mit Lydia Brooke verband. Aber selbst dieses seltsame Phänomen konnte nicht ihre Faszination erklären, die einer Besessenheit von dem Thema gefährlich nahe kam.
      Lydia Lovelace Brooke Ashby ... wiederholte Vic stumm und fügte mit einem ironischen Lächeln ihren eigenen Namen hinzu: Victoria Potts Kincaid McClellan. Das allerdings klang bei weitem nicht so poetisch. In den letzten Jahren hatte sie kaum über ihre eigene Scheidung nachgedacht - aber möglicherweise waren ihre Eheprobleme der jüngsten Zeit daran schuld, daß sie sich so sehr mit Lydias schmerzlichen Erfahrungen identifizierte. Eheprobleme! Ist ja lächerlich ... dachte sie wütend. Welchen Sinn hatte es, die Sache zu beschönigen? Sie war verlassen und verraten worden, genau wie Lydia von Morgan Ashby verlassen worden war. Dabei hatte Lydia damals wenigstens gewußt, wo Morgan sich aufhielt. Außerdem hatte Lydia kein Kind gehabt, auf das sie hätte Rücksicht nehmen müssen, ergänzte Vic stumm, als sie das Knarren von Kits Schlafzimmertür hörte.
      »Mammi!« rief er leise von der Treppe herab. Seit Ian verschwunden war, hatte Kit angefangen, sie zu kontrollieren, so als habe er Angst, daß auch sie sich eines Tages einfach in Luft auflösen könne. Außerdem litt er unter Alpträumen. Sie hatte ihn im Schlaf jammern gehört, aber auf ihre Fragen am Morgen hatte er nur eigensinnig und stolz geschwiegen.
      »Komme gleich rauf! Leg dich wieder ins Bett, Schatz.« Das alte Haus ächzte unter seinen Schritten und schien dann erneut in einen unruhigen Schlaf zu sinken. Mit einem Seufzer wandte Vic sich wieder dem Computer zu und strich sich das Haar aus der Stirn. Wenn sie jetzt nicht Schluß machte, kam sie am nächsten Morgen nicht aus den Federn, und sie hatte eine Frühstunde an der Universität. Aber das
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