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Deadlock

Deadlock

Titel: Deadlock
Autoren: Sara Paretsky
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wirkte elegant und perfekt und kam mir irgendwie bekannt vor.
    »Wo Champ jetzt auch sein mag - ich bin sicher, dass er lieber dort ist als hier.« Sie machte eine Kopfbewegung zum Haus hin und lächelte - ein flüchtiges, spöttisches Lächeln. »Das glaube ich auch.«
    »Sie sind seine Cousine, nicht wahr? Ich bin Paige Carrington.«
    »Ach natürlich! Ich wusste doch, dass ich Sie irgendwoher kenne. Ich habe Sie ein paarmal auf der Bühne gesehen.« Paige Carrington war Tänzerin und hatte eine komische Solonummer beim Windy City Ballet.
    Nun schenkte sie mir ihr publikumswirksames Schmollmundlächeln. »Ich war in den letzten Monaten eng mit Ihrem Vetter befreundet. Aber wir passten auf, dass nichts an die Öffentlichkeit und in die Klatschspalten kam. Ihr Vetter war immer noch interessant, auch wenn er nicht mehr Eishockey spielte.« Sie hatte Recht. Ich fand Champs Namen ständig in der Zeitung. Es ist eine komische Sache, eine Berühmtheit gut zu kennen. Man bekommt eine Menge darüber zu lesen, aber der Mensch, über den berichtet wird, hat wenig zu tun mit dem, den man kennt.
    »Ich glaube, Champ mochte Sie ganz besonders gern.« Stirnrunzelnd dachte sie über diese Bemerkung nach. Selbst das Stirnrunzeln war perfekt. Man hatte den Eindruck, als denke sie sehr genau über eine Sache nach. Dann lächelte sie etwas wehmütig. »Ich glaube, wir haben uns geliebt, aber ganz sicher weiß ich's nicht. Nun werde ich es nie mehr erfahren.«
    Ich murmelte etwas Besänftigendes. »Champ hat viel von Ihnen erzählt. Schade, dass er uns nie miteinander bekannt gemacht hat.« »Ja. Ich hatte ihn monatelang nicht gesehen ... Fahren Sie in die Stadt zurück? Könnten Sie mich vielleicht mitnehmen? Ich musste im Leichenzug mitgehen - mein Wagen steht in der North Side.«
    Sie schob die weiße Seidenmanschette zurück und sah auf die Uhr. »In einer Stunde habe ich Probe. Ist es Ihnen recht, wenn ich Sie in der Innenstadt absetze?«
    »Das wäre fantastisch. Ich komme mir hier draußen in der Vorstadt ganz verloren vor.«
    Sie lachte. »Das kann ich mir gut vorstellen. Ich bin in Lake Bluff aufgewachsen. Aber wenn ich jetzt mal hinkomme, habe ich das Gefühl, ich kriege keine Luft mehr.«
    Ich warf einen Blick auf das Haus und fragte mich, ob ich mich förmlich verabschieden sollte. Ich beschloss, es sei nicht erforderlich, zuckte die Achseln und folgte Paige Carrington.
    Sie fuhr einen silbernen Audi 5000. Entweder zahlte das Windy City Ballet besser als die um ihre Existenz kämpfenden Durchschnittsbühnen, oder ihre Sippe in Lake Bluff finanzierte Shantungkostüme und Sportwagen ausländischer Herkunft. Paige chauffierte mit der gleichen präzisen Grazie, die auch ihrem Tanzstil eigen war. Da sich keiner von uns beiden in der Gegend auskannte, verfuhr sie sich einige Male in den gleichförmigen Häuserzeilen, bis sie eine Ausfahrt zum Eisenhower Expressway fand.
    Auf dem Weg in die Stadt war sie sehr einsilbig. Auch ich war schweigsam und dachte an Champ - traurig und schuldbewusst. Mir wurde klar, dass ich deshalb diesen beschränkten Klötzen von Verwandten gegenüber die Beherrschung verloren hatte. Ich hatte mich nicht um Champ gekümmert, obwohl ich wusste, dass ihn etwas bedrückte. Wie hatte ich bloß verreisen können, ohne beim telefonischen Auftragsdienst meine Nummer zu hinterlassen? War er denn so sehr verzweifelt gewesen? Vielleicht hatte er darauf vertraut, dass die Liebe ihm helfen würde, und war bitter enttäuscht worden. Möglicherweise war auch das Gerede in den Docks daran schuld. Er hatte vielleicht geglaubt, sich mit meiner Hilfe zur Wehr setzen zu können, wie schon so oft. Doch ich war unerreichbar für ihn gewesen.
    Mit seinem Tod hatte ich das letzte Mitglied meiner Familie verloren. Es gab zwar noch eine Tante meiner Mutter in Melrose Park, aber ich kannte sie kaum, und weder sie noch ihr schwabbeliger, eingebildeter Sohn kamen mir wie echte Verwandte vor. Champ und ich dagegen hatten miteinander gespielt und gerauft, und einer hatte den andern beschützt. Wenn wir auch in den letzten zehn Jahren nicht viel Zeit zusammen verbracht hatten, so konnten wir uns doch stets darauf verlassen, dass der andere im Notfall zur Verfügung stand. Ich hatte nicht zur Verfügung gestanden.
    Als wir uns dem Schnellstraßenkreuz 1-90/94 näherten, klatschten Regentropfen gegen die Windschutzscheibe und störten mich auf aus meinen fruchtlosen Gedanken. Mir wurde bewusst, dass Paige mich forschend ansah. Mit
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