Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deadlock

Deadlock

Titel: Deadlock
Autoren: Sara Paretsky
Vom Netzwerk:
stets im Hintergrund hielt. Cuthbert ließ uns vor dem Haus aussteigen und parkte die Limousine hinter einer langen Reihe von Cadillacs. Bobby begleitete mich zum Eingang, aber ich verlor ihn in der Menge bald aus den Augen.
    Die nächsten beiden Stunden strapazierten mein Nervenkostüm über Gebühr. Einige Verwandte vertraten die Ansicht, es sei ein Jammer, dass Bernard trotz des Widerstandes der armen Marie darauf bestanden habe, Eishockey zu spielen. Andere sagten, es sei ein Jammer, dass ich mich von Dick hätte scheiden lassen und mir eine Familie fehlte, die mich auf Trab hielt - man brauche sich doch nur die Kleinen von Cheryl, Martha und Betty anzusehen. Das Haus quoll förmlich über vor Kindern; die Fruchtbarkeit der Wojciks war beängstigend. Ein Jammer auch, dass Champs Ehe nur drei Wochen gedauert hatte - aber er hätte ja nicht unbedingt Eishockey spielen müssen. Weshalb arbeitete er eigentlich bei der Eudora-Getreide-verschiffungsgesellschaft? War nicht schon sein Vater daran gestorben, dass er sein Leben lang Getreidestaub eingeatmet hatte? Dabei waren diese Warshawskis sowieso nicht besonders robust.
    Das kleine Haus war bald von Zigarettenrauch, dem schweren Essensgeruch polnischer Spezialitäten und dem Geplärr der Kinder erfüllt. Ich schob mich an einer Tante vorbei, die fand, man könne von mir wenigstens Hilfe beim Geschirrspülen erwarten, wenn ich mich schon nicht um die Beerdigung gekümmert hätte. Ich hatte mir zwar geschworen, beim Leichenschmaus nichts weiter von mir zu geben als »Ja« und »Nein« und »Ich weiß nicht«, aber allmählich fiel mir das immer schwerer. Zu guter Letzt packte Oma Wojcik, zweiundachtzigjährig, korpulent und in glänzendes Schwarz gehüllt, meinen Arm und hielt mich mit eisernem Griff fest. Sie sah mich aus wässrigen blauen Augen an, blies mir ihren Zwiebelatem ins Gesicht und sagte: »Die Mädels reden so allerlei über Bernard.« Die Mädels waren natürlich die Tanten. »Sie sagen, er habe dort unten bei den Silos ganz schön in der Patsche gesessen und habe sich vor das Schiff gestürzt, damit er nicht verhaftet würde.« »Wer erzählt dir denn so was?«, fragte ich. »Helen. Und Sarah. Cheryl sagt, dass Pete sagt, er sei einfach ins Wasser gesprungen, als niemand hinsah. Kein Wojcik hat je Selbstmord begangen. Aber die Warshawskis ... Juden eben. Ich habe Marie immer wieder gewarnt.«
    Ich löste ihre Finger von meinem Arm. Rauch, Lärm und der Dunst sauren Kohls umnebelten mein Gehirn. Ich beugte mich zu ihr hinunter, um eine bissige Bemerkung zu machen, besann mich jedoch anders. Ich bahnte mir einen Weg durch den Qualm, stolperte über kleine Kinder und fand die Männer in einer Ecke um einen Tisch versammelt, der mit Würstchen und Sauerkraut beladen war.
    »Weshalb erzählst du herum, dass Champ sich vom Kai gestürzt hat? Woher willst du das überhaupt wissen?«
    Pete, Cheryls Mann, glotzte mich mit seinen blauen Augen dämlich an. »He, Vic, reg dich ab! Ich hab's unten am Hafen gehört.«
    »Wieso hat er in der Patsche gesessen? Oma Wojcik sagt, du erzählst überall herum, dass er da unten Ärger hatte.«
    Pete nahm sein Bierglas in die andere Hand. »Es ist nur Gerede, Vic. Er ist mit seinem Chef nicht zurechtgekommen. Irgendjemand meinte, er habe Unterlagen gestohlen. Ich kann mir das nicht vorstellen. Champ hatte das nicht nötig.« Vor meinen Augen verschwamm alles, und mein Kopf dröhnte. »Es ist eine Lüge, verdammt noch mal! Champ hat nie in seinem Leben etwas Anrüchiges getan, nicht einmal, als er noch arm war!«
    Die anderen starrten mich verlegen an. »Nimm's nicht so tragisch, Vic«, sagte einer. »Wir haben Champ alle gemocht. Pete hat doch gesagt, dass er es nicht glaubt. Reg dich nicht so auf.«
    Er hatte Recht. Was war überhaupt in mich gefahren, bei der Beerdigung so ein Theater zu machen? Ich kämpfte mich zur Eingangstür durch und trat hinaus in die kalte Frühlingsluft. Nach Hause! Aber mein Wagen stand vor meiner Wohnung in der North Side von Chicago. Und wie ich befürchtet hatte, waren Cuthbert und Mallory längst verschwunden.
    Während ich überlegte, ob ich mir ein Taxi suchen oder mit meinen hochhackigen Schuhen zum Bahnhof laufen sollte, trat eine junge Frau neben mich - klein und adrett, mit honigfarbenen Augen und glattem, dunklem, kurz geschnittenem Haar. Sie trug ein hellgraues Kostüm aus Shantungseide mit weitem Rock und einem Bolero, der mit großen Perlmuttknöpfen geschlossen war. Die ganze Person
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher