Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dead End: Thriller (German Edition)

Dead End: Thriller (German Edition)

Titel: Dead End: Thriller (German Edition)
Autoren: Sharon Bolton
Vom Netzwerk:
bisschen Mut sammeln für den Moment, wenn sie dann schließlich den letzten Schritt machen.« Joesbury schaute abermals auf seine Unterlagen hinab. »Dr. Oliver bezeichnet so was als eine negative Verstärkung selbstzerstörerischer Triebe«, sagte er. »Manchmal absichtlich und böswillig.«
    »Klingt, als wäre sie echt witzig drauf.«
    »Dana sagt, sie ist ein ziemlich heißer Feger«, bemerkte Joesbury mit einem Lächeln, für das ich ihm mit Freuden eine geklebt hätte.
    »Also mal angenommen, ich bin einverstanden, da zu ermitteln«, sagte ich, »was genau soll ich denn untersuchen?«
    »Ermitteln im eigentlichen Sinne werden Sie gar nicht«, erwiderte Joesbury. »Zum jetzigen Zeitpunkt rechtfertigt diese Angelegenheit noch keine Ermittlungen. Ihre Aufgabe wird sein, Zeit mit Dr. Oliver zu verbringen, sie wissen zu lassen, dass wir sie ernst nehmen.«
    »Dann bin ich also eine symbolische Geste, um sie bei Laune zu halten«, unterbrach ich ihn.
    »Nicht ganz. Außerdem müssen Sie ins Studentenleben eintauchen und alles Außergewöhnliche melden. Achten Sie besonders auf die Websites und Chatrooms, die da im Marschland-Äther rumschwirren. Sie sind quasi unser Spion.«
    Ich schwieg eine oder zwei Sekunden lang.
    »Sie müssen so tun, als seien Sie eine Studentin, die möglicherweise über Selbstmord nachdenkt«, erklärte Joesbury weiter. »Hilfsbedürftig, ein bisschen verletzlich, mit einer Neigung zu Depressionen. Außerdem müssen Sie auffallen. Hübschen Sie sich mal ein bisschen auf. Gut aussehende Bekloppte. Das ist es, was wir wollen.«
    »Dann ist bei Bryonys Obduktion also absolut nichts Verdächtiges gefunden worden?«, fragte ich, mehr weil ich auf Zeit spielen wollte, als weil ich es sofort wissen musste.
    »Es gab keine Obduktion.«
    Ich wartete, während Joesbury den Fotostapel durchblätterte, ein Bild herauszog und es zu mir herumdrehte. Darauf war eine Gestalt in einem Krankenhausbett zu sehen, grotesk aufgedunsen und so vollständig mit Verbänden umwickelt, dass sie einer ägyptischen Mumie glich. Beide Arme waren im rechten Winkel vom Körper weggestreckt. Eine wirre Masse aus Drähten und Schläuchen schien wie Spaghetti aus ihr hervorzuwuchern.
    »Sie lebt noch?«, stieß ich hervor und hatte nicht die blasseste Ahnung, warum das so viel schlimmer sein sollte. Ich wusste nur, dass es so war.
    »Das hier wurde vierundzwanzig Stunden nach ihrer Einlieferung aufgenommen«, sagte Joesbury. »Niemand hat wirklich damit gerechnet, dass sie überlebt. Drei Wochen später hat sie es geschafft, sich keine Infektionen einzufangen und nicht an einem Schock oder Atemstillstand zu sterben. Sie könnte sich sogar erholen. Wie viel sie uns vielleicht erzählen könnte, ist allerdings eine überflüssige Frage. Ihre Zunge ist weggebrannt.«
    Dazu gab es nicht viel zu sagen. »Und was soll ich tun?«
    »Lesen Sie die Akte«, antwortete er. »Überlegen Sie es sich. Dana möchte, dass Sie sie anrufen. Sie wird versuchen, es Ihnen auszureden.«
    Ich blickte auf. »Fahren Sie auch hin?«, fragte ich. »Nach Cambridge, meine ich.«
    Die türkisblauen Augen wurden schmal. »Zum jetzigen Zeitpunkt nicht unbedingt«, sagte er. »Ich werde immer wieder mal vorbeischauen, um ein Auge auf Sie zu haben, aber neunzig Prozent der Arbeit vor Ort werden Sie erledigen.«
    So lief das beim SO 10. Zuerst wurden weniger ranghohe Beamte vorgeschickt, oft für ein Jahr oder länger, um Informationen zu sammeln und Bericht zu erstatten. Wenn ein deutlicheres Bild zutage trat, wurde schwereres Geschütz aufgefahren.
    »Können Sie sich mich als exzentrischen Dozenten vorstellen?«, fragte Joesbury gerade. »Mit Fliege und Tweedanzug? Im langen, wallenden Talar? Mit zerrupfter Perücke?«
    Mit seiner muskulösen Statur und dem narbigen Gesicht erinnerte Joesbury mich immer an einen halb gezähmten Schläger. Er lächelte mich wieder an. Es war immer das Lächeln, mit dem am schwersten klarzukommen war. Lieber nicht hinsehen. Lieber gehen, jetzt gleich. Der geschäftliche Teil war erledigt. Auf dem Tisch war eine Akte zugeklappt worden, ihr Inhalt war den Blicken verborgen. Die orangerote Perücke lag ein paar Zentimeter neben mir.
    »Ist ganz weich«, versicherte Joesbury. »Wollen Sie mal streicheln?«
    Ich hob den Blick. »Wovon genau reden wir hier?«
    Sein Grinsen wurde noch breiter. »Mein Gott, haben Sie mir gefehlt«, sagte er.
    Stille. Noch immer starrten wir uns über den Tisch hinweg an. Ich musste wirklich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher