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Dead End: Thriller (German Edition)

Dead End: Thriller (German Edition)

Titel: Dead End: Thriller (German Edition)
Autoren: Sharon Bolton
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als eins wirklich notwendig gewesen wären; ich erkannte schon auf dem obersten eindeutig, worum es ging. Eine junge Frau, offenkundig tot, mit nassem Haar und nassen Kleidern. Und einem fest um beide Fußknöchel geschnürten Strick.
    »Das war ein Selbstmord?«
    »Anscheinend schon«, erwiderte Joesbury. »Auf jeden Fall gibt es keine erkennbaren Beweise für etwas anderes. Das hier war Jackie zu besseren Zeiten.«
    Joesbury hatte das letzte Foto aus dem Stapel nach ganz oben gelegt. Jackie King sah aus wie jemand, der gern an der frischen Luft ist. Sie trug ein Segler-Sweatshirt und hatte langes helles Haar, glatt und glänzend. Jung, gesund, klug und attraktiv, bestimmt hatte sie doch jede Menge gehabt, wofür es sich zu leben lohnte.
    »Das arme Mädchen«, sagte ich und wartete darauf, dass er weitersprach.
    »Drei Suizide in diesem Jahr, drei im letzten, vier in dem davor«, zählte er auf. »Cambridge entwickelt langsam eine echt ungesunde Bilanz in Sachen junge Leute, die sich das Leben nehmen.«

6
    Evi blieb stehen und versuchte, den Wind mit reiner Willenskraft dazu zu zwingen nachzulassen, damit sie das hämische Kichern hören konnte, das Füßescharren, das ihr verraten würde, dass jemand sie beobachtete. Denn es musste sie ja jemand beobachten. Diese Tannenzapfen konnten unmöglich vom Wind auf den Weg geweht worden sein. Es waren insgesamt zwölf Stück, jeder genau in der Mitte einer Steinplatte; sie bildeten eine schnurgerade Linie bis zur Haustür.
    Das war jetzt drei Abende hintereinander passiert. Gestern und vorgestern Abend hätte man es noch wegerklären können. Die Zapfen waren verstreut gewesen, als sie sie das erste Mal gesehen hatte, wie von einer Bö dorthin geweht. Gestern Abend hatten welche gleich hinter dem Gartentor auf einem Haufen gelegen. Das hier war viel zu geplant.
    Wer konnte wissen, wie sehr sie Tannenzapfen verabscheute?
    Sie drehte sich im Kreis, hielt mit dem Stock das Gleichgewicht. Der Wind war zu laut, um irgendetwas zu hören. Die Schatten waren zu zahlreich, um sicher zu sein, dass sie allein war. Sie sollte hineingehen. So schnell sie konnte, hastete sie den Weg hinauf zur Tür und trat ins Haus.
    Ein weiterer Tannenzapfen, größer als die anderen, lag auf der Fußmatte.
    Evi stellte ihren Rollstuhl für drinnen immer gleich neben der Tür ab. Ohne den Blick von dem Zapfen abzuwenden, drückte sie die Tür zu und setzte sich in den Stuhl. Eine alte, irrationale Furcht hatte sie gepackt, eine Furcht, die sie zur Kenntnis nahm, gegen die sie jedoch nichts unternehmen konnte. Sie stammte aus einer Zeit, als sie als pummelige Vierjährige einmal unter einem Baum einen großen Tannenzapfen aufgehoben hatte.
    Sie war mit ihren Eltern im Urlaub in Norditalien gewesen. Die Tannen in dem Wald waren riesig gewesen, hatten bis zum Himmel gereicht, jedenfalls war es dem kleinen Mädchen so vorgekommen. Auch der Tannenzapfen war riesengroß, viel größer als ihre kleinen Hände. Sie hatte ihn aufgehoben, sich begeistert zu ihrer Mutter umgedreht und ein Kitzeln am linken Handgelenk gespürt.
    Als sie nach unten geschaut hatte, waren ihre Hände und Unterarme von krabbelnden Insekten bedeckt gewesen. Sie wusste noch, dass sie aus vollem Hals gebrüllt hatte, und ihre Mutter oder ihr Vater hatten die Insekten weggewischt. Doch ein paar waren unter ihre Kleider geraten, und sie hatte sie ausziehen müssen, mitten im Wald. Jahre später hatte die Erinnerung an Entzücken, das sich in Abscheu verwandelte, immer noch die Macht, sie durcheinanderzubringen.
    Niemand konnte das wissen. Selbst ihre Eltern hatten den Vorfall seit Jahrzehnten nicht mehr erwähnt.
    Das hier war ein seltsamer Scherz, mehr nicht; wahrscheinlich hatte es gar nichts mit ihr zu tun. Vielleicht hatte ein Kind heute irgendwann hier gespielt, hatte die Zapfenspur gelegt und einen durch den Briefschlitz gesteckt. Evi rollte auf die Küche zu. Sie kam nur bis zur Tür.
    Auf dem Küchentisch, den sie vor etlichen Stunden völlig leer zurückgelassen hatte, waren große Tannenzapfen zu einem Haufen aufgestapelt.

7
    »Dass junge Menschen Selbstmord begehen, ist aber doch nichts wirklich Ungewöhnliches«, wandte ich ein und überlegte. »Die Selbstmordrate ist doch unter Studenten höher als beim Rest der Bevölkerung, oder? Gab’s da nicht mal einen Fall in Wales vor ein paar Jahren?«
    »Sie denken an Bridgend«, sagte Joesbury. »Obwohl das rein technisch gesehen nichts mit Studenten zu tun hatte. Dass Suizide
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