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Dead End: Thriller (German Edition)

Dead End: Thriller (German Edition)

Titel: Dead End: Thriller (German Edition)
Autoren: Sharon Bolton
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gehalten und gedacht, er hätte sie verloren. Er hastet weiter die Stufen hinauf und zählt sie beim Laufen. Nicht weil er auch nur die blasseste Ahnung hat, wie viele es sind, sondern weil er im Kopf festhalten muss, dass er vorankommt. Als er den zweiten Treppenlauf erreicht, hört er Schritte hinter sich. Jemand folgt ihm nach oben.
    Er spürt die kalte Luft im selben Moment, als er die Tür oben an der Treppe sieht. Dann ist er draußen auf dem Dach, noch ehe er irgendeine Vorstellung davon hat, was er tun soll, wenn es zu spät ist und sie bereits gesprungen ist. Oder was zum Teufel er tun soll, wenn sie es nicht getan hat.
    »Lacey!«, brüllt er. »Nein!«

1
    Freitag, 11. Januar (vor elf Tagen)
    Die Bar in der Nähe der Waterloo Station war gut besucht. Fast hundert Leute brüllten aus vollem Hals, um sich über die Musik hinweg verständlich zu machen. Rauchen ist in Großbritannien in öffentlichen Gebäuden schon seit Jahren verboten, doch irgendetwas schien über diesen Menschen in der Luft zu hängen, schien die Luft zu verdichten und die Szene um mich herum zu einem unscharfen Foto zu machen, aufgenommen mit einer Billigkamera.
    Instinktiv wusste ich, dass er nicht da war.
    Ich brauchte nicht auf die Uhr zu schauen, um zu wissen, dass ich sechzehn Minuten zu spät kam. Ich hatte es auf die Sekunde genau so geplant. Noch später würde unhöflich wirken oder als wollte ich irgendetwas beweisen; zu pünktlich würde beflissen erscheinen. Gelassen und professionell, genau das würde ich sein. Ein bisschen distanziert. Ein bisschen zu spät kommen gehörte dazu. Nur war er jetzt derjenige, der sich verspätete.
    An der Bar bestellte ich meinen üblichen Drink für schwierige Situationen und hievte mich auf einen leeren Barhocker. Während ich an der farblosen Flüssigkeit nippte, konnte ich mich im Spiegel hinter der Bar sehen. Ich war direkt von der Arbeit gekommen. Irgendwie hatte ich der Versuchung widerstanden, früher zu gehen und zwei Stunden mit Duschen, Haareföhnen, Schminken und Klamottenaussuchen zu verbringen. Ich war fest entschlossen, mich für Mark Joesbury nicht hübsch zu machen.
    Jetzt holte ich meinen Laptop aus meiner Tasche und stellte ihn auf die Bar – nicht weil ich vorhatte, tatsächlich zu arbeiten, nur damit es so aussah. Ich öffnete eine PowerPoint-Präsentation über die Pornografie-Gesetze Großbritanniens, die ich nächste Woche vor einer Gruppe Berufsanfänger in Hendon halten sollte. Aufs Geratewohl klickte ich eine Folie an – den Criminal Justice and Immigration Act. Die jungen Kollegen würden überrascht sein, dass der Besitz von Pornografie ohne Beteiligung von Kindern lange Zeit vollkommen legal gewesen war. Erst 2008 wurden extreme pornografische Darstellungen gesetzlich verboten. Das überraschte jeden. Natürlich würden sie wissen wollen, was als extrem galt. Das stand wiederum auf der Folie, die ich gerade betrachtete.
    Eine extreme pornografische Darstellung zeigt eine sexuelle Handlung, die:
das Leben eines Menschen bedroht oder zu bedrohen scheint,
zu schweren Verletzungen der Geschlechtsorgane führt,
an einem menschlichen Leichnam vollzogen wird
an einem Tier vollzogen wird.
    Ich korrigierte einen Rechtschreibfehler und fügte einen Punkt ein.
    Joesbury war immer noch nicht aufgetaucht. Nicht dass ich mich umgesehen hätte. Ich würde es wissen, sobald er durch die Tür kam.
    Vierundzwanzig Stunden zuvor hatte ich auf der Polizeiwache von Southwark eine Fünf-Minuten-Besprechung mit meinem Vorgesetzten gehabt. Das SCD 10 – kurz für Special Crimes Directorate der Polizei von London, das für verdeckte Ermittlungen zuständig ist, im Polizeijargon aber immer noch SO 10 heißt – hatte meine Hilfe bei einem Fall angefordert. Nicht einfach nur irgendeine junge Zivilbeamtin, sondern spezifisch mich, und der leitende Ermittlungsbeamte bei diesem Fall, DI Mark Joesbury, wollte sich am folgenden Abend mit mir treffen. »Was denn für ein Fall?«, hatte ich gefragt. DI Joesbury würde mir alles erklären, sagte man mir. Mein Boss war schmallippig und mürrisch gewesen, wahrscheinlich weil man ihm seine Mitarbeiter abzog, ohne ihm zu sagen, warum.
    Wieder schaute ich auf die Uhr. Er war mittlerweile dreiundzwanzig Minuten zu spät dran, mein Drink ging zu schnell zur Neige, und bei dreißig würde ich nach Hause gehen.
    Ich wusste nicht einmal mehr, wie er aussah, ging mir plötzlich auf. Oh, ich hatte eine vage Vorstellung von Größe, Körperbau, Haar- und
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