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David und Goliath

David und Goliath

Titel: David und Goliath
Autoren: Malcolm Gladwell
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von Fesselung und SM. Sie war in dieser Welt gewesen. Sie hat es verstanden und mir davon erzählt. Und dann ist mir klar geworden, dass ich sie liebe. Wir haben zusammen in der Gemeinde gearbeitet. Aber diese ganze Störung, das alles, davon habe ich nie was mitbekommen.«
    Derksen hat lange mit mir gesprochen, und die Emotionen haben sie erschöpft. Sie spricht jetzt mit leiser und weicher Stimme. »Sie hat sich Sorgen gemacht. Sie hatte Angst. Sie hat gesehen, wie wütend ich war. Sie hatte Angst, dass ich in diesem Zorn gefangen bleibe und dass ich ihn jetzt gegen sie richten würde. Dass ich sie ablehnen würde.« Sie wusste, um ihrer Freundin zu vergeben, musste sie Grant vergeben. Aus moralischer Bequemlichkeit konnte sie keine Ausnahmen machen.
    »Ich habe mich dagegen gewehrt. Ich wollte nicht. Ich bin keine Heilige. Ich bin niemand, der einfach so vergibt und vergisst. Das ist das Letzte, was man wollte. Es wäre so viel einfacher gewesen, zu sagen ...« Sie macht eine Faust. »Weil ich so viele Leute auf meiner Seite gehabt hätte. Ich könnte jetzt was weiß ich für eine Verfechterin sein. Ich hätte eine große Organisation hinter mir.« Wilma Derksen hätte es so machen können wie Mike Reynolds. Sie hätte ihre eigene Initiative ins Leben rufen können. Doch sie wollte nicht. »Am Anfang wäre es bestimmt leichter gewesen. Aber dann wäre es schwerer geworden. Ich glaube, ich hätte Cliff verloren, und die Kinder. Irgendwie würde ich anderen das antun, was er Candace angetan hat.«
    Ein Mann bringt die geballte Staatsmacht hinter seine Trauer und stürzt einen Staat in ein fruchtloses und teures Experiment. Eine Frau widersteht den Verheißungen der Macht, findet die Kraft zur Vergebung – und rettet so ihre Freundschaft, ihre Familie und ihren Verstand. Die Welt steht Kopf.

KAPITEL 9
André Trocmé

    Wir fühlen uns verpflichtet, Ihnen mitzuteilen, dass sich Juden unter uns befinden.
    André Trocmé
1
    Als Frankreich im Juni   1940 kapitulierte, gestatteten die deutschen Besatzer den Franzosen die Einrichtung einer Regierung in der südfranzösischen Stadt Vichy. Regierungschef war Marschall Philippe Pétain, ein Held des Ersten Weltkriegs, der mit diktatorischen Vollmachten ausgestattet wurde. Pétain arbeitete aktiv mit den Deutschen zusammen. Er nahm den Juden alle Rechte und verbot ihnen die Ausübung ihrer Berufe. Er setzte Antidiskriminierungsgesetze außer Kraft, trieb die französischen Juden zusammen und transportierte sie in Internierungslager. Daneben ergriff er eine Reihe weiterer größerer und kleinerer autoritärer Maßnahmen und ließ zum Beispiel die französischen Schulkinder jeden Morgen vor der Flagge des Vichy-Regimes mit Hitlergruß salutieren. Angesichts der anderen Veränderungen, die die deutsche Besatzung mit sich brachte, schien dieser morgendliche Fahnenappell noch das kleinste aller Übel. Die meisten Franzosen spielten mit. Nicht so die Bewohner der Ortschaft Le Chambon-sur-Lignon. 159
    Le Chambon ist eines von gut einem Dutzend Dörfern auf dem Vivarais-Plateau im französischen Zentralmassiv. Die Winter sind kalt und schneereich. Die nächste größere Ortschaft liegt im Tal, viele Kilometer entfernt. Es ist eine einsame Gegend, in der sich vereinzelte Gehöfte zwischen Nadelwälder ducken. Jahrhundertelang war Le Chambon Zufluchtsort für verschiedene protestantische Gruppen, allen vorandie Hugenotten. Der Pastor des Ortes war ein Mann namens André Trocmé, ein erklärter Pazifist. Am Sonntag nach der Kapitulation Frankreichs predigte Trocmé in der hugenottischen Kirche von Le Chambon:
    » Es ist unsere Pflicht, unsere Feinde zu lieben, ihnen zu vergeben und ihnen Gutes zu tun. Doch wir dürfen uns dabei nicht selbst aufgeben oder zu Feiglingen werden. Wir widersetzen uns jedem Befehl unserer Feinde, der den Geboten der Bibel widerspricht. Dies tun wir ohne Furcht, aber auch ohne Stolz und Hass. « 160
    Der Hitlergruß vor dem Vichy-Regime war nach Ansicht von Trocmé ein gutes Beispiel für etwas, das den Geboten der Bibel widersprach. Er und sein Pastorenkollege Édouard Theis hatten einige Jahre zuvor in Le Chambon eine Schule namens Collège Cévenol gegründet. Sie beschlossen, dass es auf dem Schulhof keinen Fahnenmast und keinen Hitlergruß geben würde.
    Schon bald verlangte das Vichy-Regime von allen Lehrern des Landes einen Treueeid. Trocmé, Theis und die übrigen Lehrer von Cévenol weigerten sich. Pétain verlangte, dass in jeder Schule sein Bild
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