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Das Zimmermaedchen

Das Zimmermaedchen

Titel: Das Zimmermaedchen
Autoren: Markus Orths
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öfter da?«
    »Jeden Dienstag.«
    »Und was bringt dir das?«
    Lynn legt Chiara einen Finger auf den Mund. Zum ersten Mal tut sie das. Sie reden nicht mehr. Nachdem es vorbei ist, liegen sie da. Chiara hat die Augen geschlossen.
    Mach’s noch, denkt Lynn.
    Mach’s noch.
    Chiara hat es gewusst.
    Ich muss ihr von Mutter erzählt haben, denkt Lynn. Keine Ahnung, wann. Wie komm ich dazu, ihr von Mutter zu erzählen? Ich hab noch nie jemandem von Mutter erzählt.
    Mach’s noch.
    Chiara öffnet die Augen.
    Beide sehen sich an.
    Keiner senkt den Blick.
    Nach einer Weile steht Chiara auf und verlässt die Wohnung. Das Geld steckt sie beiläufig ein, wie üblich. Statt Mach’s noch hört Lynn das gewohnte Ciao. Dann ist sie wieder allein.
    Mit ihr, denkt Lynn.
    Warum nicht?
    Vielleicht kommt sie mit.
    Wenn ich schon raus muss, dann mit ihr. Zwei Wochen Urlaub, das müsste doch drin sein, sie wird ja sagen, wenn ich sie frage, Chiara hat nichts zu verlieren, sie kann nur gewinnen, ich werd ihr alles zahlen, es wäre ein Job für sie, Chiara wäre dumm, wenn sie das ausschlägt, sie müsste mich schon sehr hassen, wenn sie nein sagt, aber das, was Chiara tut, kann nicht alles nur nicht stimmen. Und wenn wir in Urlaub fahren, dann werden wir uns kennenlernen. Ich werde mich kennenlernen, und Chiara wird sich kennenlernen. Und wir werden vorm Spiegel stehen und keinen Ausweis mehr brauchen.

11
    S onntag blassblau, Montag schmutzig weiß, Dienstag eierschalenfarben, Mittwoch graubraun, Donnerstag kobaltblau, Freitag knallrot, Samstag samtschwarz. Sonntag allein, Montag Heinz, Dienstag unterm Bett, Mittwoch frei. Jetzt, heute, am Mittwoch, ich könnte zu Silvia Maurer fahren und ihr die Wahrheit sagen. Ich könnte in ihr Haus dringen und sagen, ich weiß etwas, das Sie nicht wissen, und wenn ich’s Ihnen sage, wird Ihr Leben wie ein Kartenhaus zusammenklappen. Aber Lynn tut es nicht. Etwas hält sie zurück. Nicht jetzt. Noch nicht. Später vielleicht. Stattdessen fährt Lynn ihren stillgelegten roten Ford ohne jedes Nummernschild zum Autohändler um die Ecke, ihren Mutterford, wie Lynn ihn nennt, Geschenk der Mutter, letztes Jahr, der ist mir zu groß geworden, hat Mutter gesagt und sich einen Golf gekauft. Donnerstag Anruf zu Hause, Freitag Therapeut, Samstag Chiara.
    Erster Samstag.
    Zweiter Samstag.
    Dritter Samstag.
    Lynn fragt Chiara nicht.
    Es wäre nur eine einfache Frage, die sie stellen müsste: Urlaub, gemeinsam, kommst du mit? Aber Lynn hat Angst vor dem Nein. Jedes Mal bevor Chiara auftaucht, nimmt Lynn sich vor, sie zu fragen. Jedes Mal, wenn sie ansetzen will, verlässt sie der Mut.
    Vierter Samstag.
    Lynn hat sich freigenommen. Chiara klingelt um zwölf. Sie geht um zwei. Lynn wirft sich Klamotten über und folgt ihr. Lynn weiß nicht, weshalb sie es tut, aber sie tut es. Chiara geht auf den Taxistand zu, Ecke Busbahnhof, sieht aber nach oben, in die Luft, zum Himmel, zur Sonne, ein Spätsommertag, überlegt es sich anders, geht an den Taxis vorbei, zieht den leichten Mantel aus, legt ihn über den Arm, geht weiter, Lynn immer hinter ihr her, sieht den Blick eines Taxifahrers auf Chiaras Beine, und Chiara geht Richtung Stadtpark, quert die Leopoldstraße bei Rot, weil keine Autos kommen, biegt in den Stadtpark ein, kurz bleibt sie stehen und lehnt sich an einen Baumstamm, nur mit der rechten Hand, sonst geschieht nichts. Warum, denkt Lynn, kann ich nicht auch ihren Gedanken folgen? In sie hineinkriechen und wissen, was in ihr vorgeht? Vielleicht wird sie an mich denken, an Lynn Zapatek, ich hab sie noch nicht nach ihrem richtigen Namen gefragt. Chiara geht weiter. Lynn hält sich im Rückraum, verliert sie nicht aus den Augen, bleibt so unsichtbar wie möglich. Ins Cafe Hamilton setzt sich Chiara und wartet, noble Adresse, allein ist sie dort, Lynn kann sie durch das Fenster sehen, kann Chiaras Gesicht sehen, kann sehen, wie sie sinniert, Lynn steht hinter einer Litfaßsäule und schaut auf Chiaras Profil, die lächelt, die grinst, die schüttet zu viel Zucker in den Kaffee, da geht was in ihr vor. Bald nähert sich ein Mann im Anzug, er entschuldigt sich, wohl fürs Zuspätkommen, Chiara steht auf, der Mann zahlt, Chiara hängt sich in seinen Arm, beide verlassen das Cafe, der Mann öffnet die Tür zu einem Cabrio, Chiara steigt ein, und fort ist sie.
    Lynn steht eine Weile reglos da.
    Jetzt.
    Jetzt ist der richtige Moment.
    Sie geht zum Busbahnhof, wartet, steigt in den Bus Richtung Vorort. Der Nachmittag
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