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Das Ziel ist der Weg

Das Ziel ist der Weg

Titel: Das Ziel ist der Weg
Autoren: Ulrich Hagenmeyer
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Mahlzeiten am Tag. Die spanische Küche unterstützt mich dabei mit Rezepten, an deren Anfang steht: »Füllen Sie in eine Pfanne ungefähr zwei Zentimeter hoch Olivenöl und erhitzen Sie es...«
    »Tu as une tête de moine!« — »Du hast den Kopf eines Mönches!« Verwirrt schaue ich in die entrückten Augen einer jungen Französin. Sie und ihr Begleiter hatten mich in der brütenden Hitze kurz vor Hospital de Órbigo eingeholt. Völlig unvermittelt nimmt sie mit einer anmutigen Geste mein Gesicht in ihre Hände und zeichnet mit ihren Fingern meine Gesichtszüge nach. »Klare, weiche und ernste Gesichtszüge zugleich«, sagt sie, und nach einem Blick auf meine Hände, »und die Hände eines Arbeiters: Du bist ein Mönch!« Im meditativen Innenhof des Refugios von Hospital erfahre ich, dass die beiden seit Monaten zwischen den Pyrenäen und Santiago hin- und herpendeln, vom Jakobsweg nicht herunterkommen. Mönch? Ich? Das mit der Armut ginge vielleicht noch, aber schon beim Gehorsam würde es wohl schwierig werden!

    Ich verstehe nicht, wieso neben einer asphaltierten Straße, an der ein Feldweg entlangführt, auch noch eine Schotterstraße für Pilger angelegt werden musste. Im Hintergrund die Montes de Léon, in flirrender Hitze laufe ich stumpfsinnig auf dem meiner Meinung nach völlig überflüssigen, die Hitze von unten reflektierenden künstlichen Pfad auf den Rabanal-Pass zu. Plötzlich muss ich über mich lachen: Warum laufe ich eigentlich auf der »Pilgerautobahn« und nicht auf dem Feldweg?

    Ich halte den Stein in der Hand. Halte ihn hoch gegen den stahlblauen Morgenhimmel. Warmgelbe Sonnenstrahlen bringen ihn zum Glühen. Das ist nicht irgendein Stein. Bei meinem Aufbruch nahm ich ihn mit von einem mir wichtigen friedlichen Ort. Ich habe ihn mitgetragen über Hunderte von Kilometern und mit ihm die Last, die mich mit ihm verbindet. Achtsam lege ich ihn zu den anderen unter dem Cruz de Ferro. »Oculi mei«.
    Der Jakobsweg wird noch voller, es werden immer noch mehr. Ganze Pilgerherden drängen sich abends in den zahlreichen Unterkünften. Tagsüber überhole ich eine Pilgergruppe nach der anderen. Ich bin froh, wenn ich morgens früh wegkomme: immer noch Flucht vor der mich verfolgenden Menge.

    »Luz, Paz у Amor« — »Licht, Frieden und Liebe« stand in gelber Farbe kurz nach Villafranca del Bierzo auf den Fels gemalt. Auf der anderen Seite des Weges warnte eine Aufschrift, dass die Strecke nur für geübte Pilger geeignet sei. Sie hat zu Recht gewarnt. In sengender Mittagshitze zieht der Weg steil bergan, so steil, dass ich nichts anderes mehr wahrnehme als meine schmerzenden Oberschenkel und den Schweiß, der mir in Strömen über das Gesicht läuft. Hans und ich laufen in hohem Tempo, immer bergan, immer bergan, immer bergan. Und dennoch, nur zu zweit auf der Strecke zu sein, ist trotz der Anstrengung eine Wohltat: Ruhe und Einsamkeit der Berglandschaft abseits der überlaufenen Hauptstrecke. Licht und Frieden finden wir hier wahrhaftig. Liebe wäre wohl etwas zu viel verlangt.

    Eine Weile benötige ich, um zu realisieren, dass der Jahrmarkt in О Cebreiro kein Jahrmarkt ist, sondern eine offizielle Marienwallfahrt. Der Rummel ist kaum zu ertragen. Meine Vorstellung von Wallfahrt ist auf dem Jakobsweg eine andere geworden. Aus der meditativen Herberge in Ruitelán sind wir heute morgen mit Taschenlampen aufgebrochen. Der Weg zog wieder steil und hart nach oben, an dem Schild, welches die Fußpilger nach links und die Radpilger nach rechts weist, schmunzele ich: Der letzte Pass ist nah. Gelbe ginsterartige Sträucher erstrahlen in der ersten Morgensonne entlang des einsam nach oben führenden Pfades. Ich bin innerlich in Ruhe, bis ich unvermittelt mitten im Jahrmarkt stehe, der keiner ist.

    Wirklich bei Nacht und Nebel Aufbruch in Triacastela: Ich sehe doppelt nichts, vor Dunkelheit und vor Nebel. Unsere Taschenlampen greifen mit weißen langen Fingern in das milchige Dunkelgrau vor uns, versuchen, die gelben Pfeilmarkierungen zu erhaschen. Auf dem Weg zum Ricabo leuchtet von Ferne ein Waldbrand verwaschen durch den Nebel. Sonst ist alles still. Die Stimmung ist unheimlich. Galicien, das Land der Hexen, Feen und Gespenster. Als die Sonne aufgeht, zeichnet sie alles durch den nebligen Filter weich: die Landschaft und die Dörfer am Wegesrand, einzelne Kapellen. Irgendwann liegt der Himmel stahlgrau über dem Morgennebel. Mysteriös, mystisch, mythisch.

    Die Strahlen der tief stehenden
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